74 Jahre

Heute ist internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. An diesem Tag gibt es von mir diesmal kein Gedicht, keinen Aufsatz, und auch kein Foto oder Bild. Obwohl es natürlich in unserem Haushalt sehr viel davon gibt. Immerhin hat mein Mann einen Zyklus „Shoa“ gemalt. Und ich habe schon sehr viel darüber geschrieben.

 

Ich habe aber etwas anderes ausgewählt.
2011 habe ich mich ausführlich mit dem Umgang des Gedenkens auseinandergesetzt. Unterstützung für meine Idee bekam ich bei einem Rundgang durch die Gedenkstätte Flossenbürg. Ich habe diese in ein Booklet verpackt und glaube, sie unterscheidet sich in vielem von dem, was man sonst zur angeblichen Aufarbeitung vorgesetzt bekommt.


Mein Weg ist ein anderer:
Nicht Gedenken in Grauen, sondern Gedenken in Liebe.

Und es gibt eine Lesung, die ich euch heute gerne zu Gemüte führen möchte. Es wäre schön, wenn ein paar von euch sich ein bisschen Zeit für meine Gedanken nehmen würden.
Denn

Gedenken
ist Auftrag.

An uns selbst.
Für uns selbst.

 

lesung flossenbuerg

6 Gedanken zu „74 Jahre“

  1. Liebe lintschi,

    Ich erinnere mich gut daran, dass ich schon ‚damals‘ Dein Büchlein mit großem Gewinn gelesen habe, da mich das Gedenken an die Toten, die der Nazi-Terror in meinen ersten Lebensjahren auf dem Gewissen hatte, sehr umgetrieben hat – und an Dietrich Bonhoeffer besonders, da er theologisch für mich sehr wichtig war.

    Danke und liebe Grüße
    Helmut

    1. lieber helmut,
      danke! für dein damaliges interesse. und für dein bis heute gebliebenes.
      ja, bonhoeffer wurde in flossenbürg hingerichtet … auch ich habe schon viel bei ihm gefunden, das mir geholfen hat.
      lieben gruß zu dir
      lintschi

  2. Mein angeheirateter Onkel war ein Sinti und ist als Kind mit seiner gesamten Familie ins KZ gekommen und sie konnten alle fliehen. Er hat mit mir nie darüber geredet, obwohl ich Geschichtslehrerin bin. Meine Eltern wussten Bescheid, aber haben mir auch nie etwas gesagt. Als bei seiner Beerdigung die halbe Sinti Gemeinde anwesend war und der Pfarrer sein Schicksal in der Rede schilderte, bin ich aus alle Wolken gefallen. Einerseits bedauere ich es, dass wir nie darüber reden konnten, andererseits respektiere ich es, dass er sein Leben unbeschwert leben wollte. Auch das bedeutet, über die Nazis zu triumphieren. Politisch war er allerdings sein Leben lang und er hat vor drei Jahren wohl auch eine Rede in Ausschwitz gehalten und sich am Ende seines Lebens in der Gemeinde engagiert. Was soll ich sagen, ich staune immer noch.

    1. ich glaube, dass auch viele der ehemaligen insassen deshalb nicht darüber sprachen, weil sie spürten, dass sie die leute damit nur neuerlich von sich stießen.
      die leute wollten das nicht hören, sie fühlten sich schuldig, obwohl sie diese schuld weit von sich wiesen.
      es ist doch auch heute so, dass die menschen das leid nicht sehen wollen und viele – leider viel zu viele – die armen und kranken von sich weisen. ich kenne leute, die den kontakt zu krebskranken freunden abbrechen und sagen: ich bin zu gefühlvoll, ich ertrage es nicht.

      und wer das leid dann überwindet, der möchte nicht noch einmal in die grube gestoßen werden. und deshalb haben wohl viele nicht mehr darüber gesprochen. abgesehen davon, dass sie wohl auch den mechanismus der verdrängung dafür brauchten, um überhaupt weiter existieren zu können.
      denn ich kann es mir einfach nicht vorstellen, wie man mit solchen erlebnissen sonst weiterleben könnte.

      ich danke dir für deinen kommentar!
      und schicke dir einen lieben abendgruß
      lintschi

  3. liebe lintschi,
    erst wollte ich nur kurz reinhören, doch dann ließ es mich nicht mehr los und ich begleitete dein intensives erspüren, als wäre ich dabei gewesen. so gegensätzlich wir in vielem sind, so tief verbunden sind wir doch in so vielem anderen. so auch bei diesem thema. sofort stand ich wieder an jenem eisigkalten wintertag in „unserem“ bergen-belsen, es liegt knapp 30 km entfernt, doch zeit meines lebens begleitet es mich. hoffnungsvoll ist deine geschichte und so sollte er auch sein, der umgang mit unserer vergangenheit.

    ich habe dir gerne gelauscht und mich sehr, sehr gern auf deine sicht eingelassen.

    sei lieb gegrüßt
    von isabella

    1. liebe isabella,
      ich kann dir gar nicht sagen, wieviel mir dein kommentar bedeutet. danke!
      für mich ist es ein großes problem, dass ich nicht nur mit der vergangenheit umgehen muss, sondern auch damit, dass ich weiß, wie sehr in der gegenwart so falsch damit umgegangen wird. dass wir nur durch eine ganz andere einstellung etwas zum wirklich besseren drehen könnten.
      mit der anprangerung ist nicht wirklich was zu erreichen. die meisten menschen ertragen diese wahrheit nicht und wollen sie deshalb erst gar nicht hören oder sehen. oder weisen einfach anderen dafür die schuld zu.
      es ist leider ein allgemeines phänomen, dass das augenmerk auf das negative gelenkt wird, anstatt darauf, wie man etwas bewältigen kann.

      es macht mich glücklich, dass du mir zugehört und meine sicht verstanden hast. denn das ist absolut nicht selbstverständlich, oft werde ich dafür als naiv bezeichnet.
      allerherzlichste grüße zu dir
      lintschi

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