Die Wichtigkeit des Seins

Ich glaube, dass wir Menschen dazu neigen, unseren Mittelpunkt zu verschieben. Wir richten unsere Wichtigkeit nicht nach uns aus, sondern nach der Wichtigkeit, die wir für andere haben möchten. Das kann nicht gut gehen. Das ist ein Prinzip, das in sich schon zum Scheitern verurteilt ist. Ich möchte gar nicht auf die Gründe eingehen, warum das so ist, dass Erziehung und Kollektivität uns dahin drängen. Ich möchte mich mehr mit der Gratwanderung der Wichtigkeit des Seins beschäftigen.

Die Wichtigkeit des Seins kann für mich lediglich aus der Selbstliebe erwachsen. Sie kann, wie der Prozess des Liebens an sich, nicht von außen gebracht werden.
Menschen, die ihre Wichtigkeit an ihren Erfolgen ablesen wollen, geben ihre Wichtigkeit aus der Hand.

Im Leben eines Menschen hat die Kommunikation einen unentbehrlichen Stellenwert. Gesundes interaktives Verhalten ist ein Grundbedürfnis für die Seele des Menschen. Doch genau dort liegen die Stolpersteine und Fußangeln. Wir Menschen glauben, Interaktion funktioniert am besten, wenn wir uns an den Reaktionen der anderen orientieren. Doch das kann so nicht sein. Ein Mensch, der sich an anderen ausrichtet, befindet sich logischerweise nicht in seinem Mittelpunkt, sondern wankt wie ein Schilfrohr im Wind zwischen den erwarteten Anforderungen der anderen hin und her.
Und auch die Wichtigkeit seines Seins hat dadurch kein gefestigtes Standbein.

Überlegen wir wieder einmal prinzipiell.
Welcher Mensch kann ohne uns nicht existieren? Das sind doch eindeutig nur wir selber. Also haben wir für uns Priorität.
Ohne welchen Menschen können wir nicht existieren? Auch hier: unsere Existenz ist nur von unserem eigenen Dasein abhängig.

Die Qualität dieser Existenz mag von anderen Menschen mitbestimmt werden, jedoch ist mit Sicherheit auf den kleinen Zusatz „mit“ zu achten. So schmerzhaft Verluste sein mögen, der Mensch ist dafür ausgerüstet, sie zu überleben! Auch logisch: wäre unsere Existenz an die Existenz bestimmter Personen gebunden, gäbe es schon lange keine Menschen mehr, weil bei jedem Todesfall ganze Menschenketten aufhören müssten, zu existieren.

Was können wir daraus für uns ableiten?
Dass unsere Existenz von uns selber sorgfältigst gepflegt werden muss.
Wenn wir aber nun davon ausgehen, dass zu dieser sorgfältigen Pflege gehört, dass uns andere die Füße küssen, dann kann dieses Prinzip auch wieder nicht funktionieren. Denn diese müssen ja ebenfalls vorrangig ihre eigene Existenz pflegen.

Erzieht uns dieses Prinzip nun zu Egoisten? Ja, das tut es! Und das ist gut so. Denn Egoismus ist eine gesunde Einstellung zum eigenen Sein und die Grundlage für die Wichtigkeit des Seins.
Doch dürfen wir Egoismus nicht mit Egozentrik verwechseln.
Egozentrisch ist ebenso nicht in der Mitte, wie das Schwanken zwischen den Reaktionen!

Aber was heißt egozentrisch?

In unserem eigenen Bedürfnispool spielt die Gemeinschaft eine große Rolle. Wohl die zweitgrößte, denn logischerweise gibt es ohne unsere eigene Existenz ja auch keine Gemeinschaft für uns. Aber ohne Gemeinschaft ist der Mensch nur ein Samenkorn in der Wüste. Die Qualität der Existenz eines einzigen Menschen ohne jegliche Gemeinschaft ist absolut nullwertig. Auch für ihn selbst.
Was, wie schon oben erwähnt bedeutet, der Mensch benötigt Interaktion. Und am besten liebevolle.

Diese kann er aber nur pflegen, wenn er selbstliebend in seiner Mitte ruht und von dort ausgehend liebend agiert und reagiert.

Wenn er nun diesen Ausgangspunkt verschiebt, indem er alles was von außen kommt auf sich zentriert, anstatt seine Wichtigkeit für sich selbst in das Zentrum zu stellen und von dort weg zu agieren, dann ist er egozentrisch unterwegs. Und selbstverständlich von Reaktionen abhängig.

Das heißt, dass der Mensch um sich selbst etwas Gutes tun zu wollen, auch sorgfältig auf sein Umfeld achten muss, also auch darauf, dass es bei seinen Handlungen nicht nur ihm selbst, sondern auch den anderen gut geht. Für seine Gemeinschaft handelt und nicht gegen sie. Das ist Egoismus!

Und wir sehen sofort den Unterschied zur Egozentrik: Dort glaubt der Mensch, dass er nur sich selber etwas Gutes tun kann oder gar, dass andere es für ihn tun müssen.

Geben und Nehmen ist die funktionelle Grundlage der Gemeinschaft. Aber was geben und was nehmen? Darauf kommt es an.
Dort liegt der schmale Grat zwischen Egoismus und Egozentrik.

Wir geben, wenn wir unsere Existenz wertfrei präsentieren. Wir nehmen, wenn wir das was andere geben, ebenso wertfrei akzeptieren.
Aber wir geben dann nicht, wenn wir etwas hinausgeben, um Reaktion zu erhalten und wir nehmen nicht, wenn wir das, was andere geben, dahingehend sortieren, ob es unsere Wichtigkeit erhöht.

Klingt doch simpel. Ist es aber, wie wir alle wissen, leider nicht.
Zu viel stürmt auf den Menschen im Laufe seiner Entwicklung ein. Erziehung und kollektives Unbewusstes bringen ihn auf den Weg, der von Machtgefügen und wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt ist.

Die Wichtigkeit des Seins wird nicht mehr am moralischen Wert gemessen, sondern am ökonomischen.

Da dies die Mehrheit der Menschen so macht, bekommt dieses Prinzip einen gewisse Wahrheitsallmacht. Und wir Menschen geben uns selbst nicht mehr Wert als … ja, dem Schilf im Wind …

4 Gedanken zu „Die Wichtigkeit des Seins“

  1. ich mag deine Unterscheidung von Egoismus und Egozentrik, auch wenn sie leider so im Alltag meist nicht gemacht wird

    ich musste dabei unter anderem an den tibetischen Buddhismus denken (soweit ich darüber gelesen habe), bei dem es um die Vermeidung von Leid für sich selber und für andere geht
    und ich musste an Kant denken und an den „kategorischen Imperativ“; der ist zwar kompliziert formuliert, meint aber eigentlich nichts anderes als „was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“

    in unserer Gesellschaft wird so viel Wert darauf gelegt, wie man von anderen gesehen wird, dass man viel Anerkennung erhält
    z.B. durch die Anzahl der „Freunde“ auf facebook oder anderen sozialen Netzwerken
    Äußerlichkeiten bestimmen den Status – mein Haus, mein Auto, mein Boot
    aber wehe, davon fällt etwas weg …

    1. ich glaube, es wäre sehr gut, würde meine unterteilung in der allgemeinheit mehr raum bekommen. es würden sich viele missverständnisse vermeiden lassen und die menschen kämen mit sich selbst besser zurecht.
      was natürlich auch für die gesellschaft ein großer vorteil wäre.
      damit könnte man kriege verhindern …
      ich glaube aber weiter, dass die wirtschaftliche macht nicht daran interessiert ist, die menschen auf diesen weg zu bringen. der ökonomische wert der menschheit ginge verloren, weil ihre konsumbereitschaft sinken würde.
      schade ist ja nur, dass dieser okonomische wert bis in die partnerschaften reicht, ja sogar eltern kinder HABEN wollen. diese ebenfalls einen wert einnehmen. und viel zu oft einen egozentrisch bestimmten.
      man sehe doch nur auf die vielen eingriffe in die natürlichen geburtenvorgänge …
      no ja, ein weites feld …
      vielleicht für einen späteren artikel *ggg*

  2. es sollte wirklich das natürlichste von der welt sein, dass jeder auf eine gute art und weise bei sich selbst ist. vieles schwingt bei mir gleich, wenn ich diese deine gedanken lese …

    sein – und andere sein lassen – und sich begegnen … ich denke, wirkliches begegnen ist auch nur so möglich.

    liebe grüße,
    tabea

    1. ja genau, die begegnungen würden davon enorm profitieren. fülle und dichte bekommen, weil ja jeder wirklich was einbrächte und nicht nur ein vorgefertigtes modell abliefern würde.
      auch dir einen lieben gruß zurück
      und ein herzliches danke!

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