Lesung „In der Umarmung des Vergessens“

 
Am 12. Juni war es so weit, ich hatte meine erste Lesung vor Zielpublikum, in dem mir bis dahin unbekannten SeneCura Sozialzentrum Frauenkirchen. Das Literaturhaus Mattersburg hatte mich im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe „Literatur auf Rädern“ dafür angefragt.

Die Zusammenarbeit im Vorfeld war bereits höchst angenehm. Die Betreuer waren sehr interessiert und entgegenkommend.

Selbstverständlich setzte ich mich nicht an einen Tisch für meine Lesung. Ich wollte beim Lesen auf die Menschen zugehen, Augenkontakt suchen, sie eventuell – wenn möglich – sogar berühren. Zu diesem Zwecke bildeten wir einen Halbkreis für die schon etwas fortgeschritteneren Fälle.

Die Lesung fand in der Kapelle des Hauses statt und vielleicht war das ein bisschen ein Nachteil. Nicht alle Insassen verließen ihren Wohnbereich. Ich kenne das von meinen Angehörigen, wenn etwas extern veranstaltet wird, ist die Barriere zu groß.
Andererseits war es wahrscheinlich genau die richtige Größe für die Gruppe, um nur ja jeden einzeln zu erreichen.

Ich war schon etwas früher dort, um alles in Ruhe vorbereiten, mich auf den Leseraum einspüren zu können.

Lesung frauenkirchen

Und so waren es sehr bewegende Augenblicke für mich, als die ersten Gäste eintrafen. Von ihren Betreuerinnen im Rollstuhl hereingeschoben oder an der Hand hereingeführt wurden. Nur drei oder vier konnten noch ohne Hilfe ihre Plätze einnehmen. Ich begrüßte jeden einzeln mit Handschlag und wurde beinahe enthusiastisch aufgenommen.

Nach der Begrüßung begann ich mit meinem Walzertanz.
Und ich merkte sofort, dass der Funke sprang!
Ich wiederholte den Refrain öfter als geschrieben und drehte mich zu allen Seiten. Und ja, sie wippten tatsächlich mit!

Dann die Pendeluhr, auch hier war noch Schwung und Bewegung drinnen.

Eigentlich begann ich dann erst mit der „Lesung“.
Aber da war das Interesse der HörerInnen schon gut bei mir.

Ich kann sagen, die Lesung war genauso, wie ich sie mir vorgestellt, mir gewünscht hatte.
Ich suchte immer Augenkontakt, ging auf die einzelnen Hörerinnen zu (in der ersten Reihe saßen keine Männer – es waren ja überhaupt nur drei da) und las sie direkt an. Ich unterstützte mit Körpersprache.

Und ich merkte deutlich, wie sehr sie dabei waren. Manchmal sagten sie auch etwas dazu. Wiederholten ein Wort oder eine Zeile. Kopfnicken war das Mindeste.
Einzig der Herr in der zweiten Reihe gähnte immer laut. Aber er schien auch verschnupft zu sein, hielt sich dauernd ein Taschentuch vor die Nase …

Dann bekam eine der Damen Durst und verlangte nach Wasser. Da machten wir alle eine kleine Trinkpause.

Gestärkt ging es dann ins Finale. Und es war wie vorher. Das Interesse war da und wir hatten einen guten Draht zueinander.
Zuletzt las ich dann noch Wichtig! und dabei ging ich wirklich bei jeder Zeile zu einer der Damen und las sie direkt an. Das war so, ja wichtig! Und wirklich unglaublich berührend.

Zu guter Letzt verabschiedete ich mich wieder per Handschlag und fragte natürlich auch, wie es gefallen hatte. Und von den Antworten und Reaktionen werde ich noch lange zehren.

Ja, das Projekt hat sich gelohnt! Und ich kann es wirklich nur jedem empfehlen, sich ein bisschen mit alten Menschen auseinanderzusetzen und zu beschäftigen! Da bekommt man sehr viel zurück!

lesung frauenkirchen

 

6 Gedanken zu „Lesung „In der Umarmung des Vergessens““

  1. Oh, Lintschi, das war ja offenbar ein voller Erfolg!! Die Fotos sprechen für sich, alle Achtung! Du hast diese Menschen erreicht, keine Frage. Wie schön, wie berührend.

    Und – es ist ja wohl so, dass tatsächlich viel mehr Frauen von Demenz betroffen sind als Männer. Deshalb wohl der überwiegende Anteil Frauen hier (?)

    Ich finde das ganz toll, was du da machst, Lintschi, Kompliment abermals, ich ziehe den Hut!

    Sehr liebe Grüße
    Diana

    1. ah diana, du bist aber schnell …

      vielleicht gibt es mehr frauen, weil die ja älter werden, als die männer …
      außerdem werden kranke männer viel länger von ihren frauen zu hause betreut, wenn sie denn welche haben. aber männer können ihre frauen oft nicht betreuen.

      ja, es war sehr berührend. es hat mich glücklich gemacht!
      deshalb muss auch niemand den hut ziehen *ggg*
      ich habe auch versprochen, dass ich zu weihnachten wiederkomme und eine weihnachtslesung mache.
      da ist es ja einfacher, weil es viele bekannte weihnachtsgedichte und lieder gibt …

      danke für dein mitkommen! ich freue mich sehr über dein interesse!
      ist nicht selbstverständlich. heute wurde mir schon gesagt, ich solle mich lieber um kinder kümmern, die alten menschen haben ihr leben eh schon hinter sich. kein scherz!

      seither freue ich mich über jeden doppelt und dreifach, der auf meiner welle liegt.

      ganz lieben nachtgruß zu dir
      lintschi

  2. wie schon an anderer Stelle gesagt:
    Ich freue mich, dass dein Projekt so ankommt, wie du dir das vorgestellt und gewünscht hast.

    Du erreichst die Menschen durch deine Texte, aber auch durch deine ganze Art, die Bewegung, die Mimik – einfach herrlich. Und die Anordnung im Halbkreis ist dafür natürlich genau richtig.

    Lieben Gruß
    Uta

    1. lieb uta,

      spät aber doch ein herzliches dankeschön!
      ja, es war einfach ein schönes erlebnis. ich würde mir sehr wünschen, dass viele menschen die berührungsängste vor oder mit dem alter verlieren …

      ganz lieben gruß
      lintschi

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