Gedanken über das Sterben

 
Der Tod ist ein Freund. Ein Freund der Liebe.
Einem Toten kann man reine Liebe schenken.

Im Leben wird die Liebe abgelenkt von Körperlichkeiten, von Stimmungen, die Kommunikation verlangt den Ausdruck der Liebe.

Nach dem Tod des geliebten Menschen bleibt nur die Nähe. Das reine Geben dessen, was man in sich findet. Das reine Nehmen dessen, was der Andere geben konnte und es dadurch noch immer kann.

Die Trauer bezieht sich auf den Verlust des realen Bezugs.
Menschen kann man nicht besitzen, also kann man sie auch nicht verlieren.
Auch die Liebe kann man nicht besitzen, also kann man auch sie nicht verlieren.

Traurigkeit ist ein warmes Gefühl, das Verbindung herstellt, zu dem, weshalb man traurig ist. Tränen spülen die Seele.
Die Traurigkeit bezieht sich meistens auf die Erinnerung an schöne Zeiten, glückliche Erlebnisse. Und das ist gut und das ist richtig. Und so soll es bleiben. Wenn man diese Traurigkeit annimmt, dann wandelt sie sich langsam und von allein in unüberschattete Liebe, die von Äußerlichkeiten nicht abhängig ist. Die Erinnerungen werden wieder glückhaft empfunden und stellen wieder Nähe her.

Manchmal bezieht sich der Verlustschmerz auf die Unwiederbringlichkeit der Möglichkeit, Verständigung herzustellen. Aber auch hier ist dieser Verlust im vorangegangen Leben angesiedelt und nicht der Tod ist dafür verantwortlich zu machen. Wer seine Belange rechtzeitig klärt, dem wird auch hier kein Verlust erwachsen.

Der Umgang mit einem Demenzkranken ist eine gute Vorbereitung auf den Weggang.
Langsam kommt man auf die Spur, wo es nur Hinwendung zu dem Anderen gibt.
Weil er nur mehr sich selbst zurückgeben kann.
Der Verlust findet gemächlich statt, hinterlässt deshalb keine schmerzende Lücke.

Wer ohne den Anderen nicht leben zu können glaubt, der wünscht sich das sicher nicht mehr, wenn er erkennen muss, wie das Leben des Geliebten immer beschwerlicher wird und keine Hoffnung auf Besserung besteht.
Man kann zwar lange Zeit dennoch viel Qualität in der Gemeinsamkeit finden, aber wenn nur mehr das Leiden das Leben des Anderen bestimmt, kann man als Liebender diese Egozentrik nicht aufrecht erhalten.
Die Linderung und Akzeptanz stehen dann wohl im Vordergrund, doch die Wünsche können einfach nicht in die Richtung Verlängerung der Anwesenheit auf der Erde liegen, die dem eigenen Besitzanspruch entsprechen würden.

Interessant sind für mich auch die Erkenntnisse, wie Menschen mit dem Sterben umgehen.
Die meisten besetzen das Sterben des Anderen mit der eigenen Angst.
Die Hinwendung zum Anderen würde diese Angst aufheben. Aber bei Vielen ist die Angst zu groß.
Was kein Vorwurf ist! Sondern eine Erkenntnis.

Aussprüche wie „Ich gehe nicht hin, weil ich will ihn/sie so in Erinnerung behalten, wie …“ oder „Es hat ja keinen Sinn, er/sie kriegt ja nix mehr mit“, tun mir persönlich in der Seele weh.

Einen geliebten Menschen begleiten zu können, ist eine große Gnade. Die vieles von allein relativiert. Man sieht die Veränderung gar nicht, weil die liebende Schau sich auf anderes konzentriert. Man verlangt von dem Sterbenden nicht, dass er aussieht, wie man ihn erträgt. Man trägt mit ihm.
Und kann deshalb den Wunsch nach Erlösung aus aufrichtigem Herzen wünschen und nicht als Floskel in den Raum stellen, die einen selber noch ängstlicher macht.
Entspricht sie doch nur dem Wunsch, selber von dem Leiden erlöst zu werden, den Anblick des Anderen ertragen zu müssen.

Viele Menschen sagen, so oder so möchte ich nicht sterben, das ist menschenunwürdig. Diese Menschen können nicht erkennen, dass auch ein leidvolles Sterben zum persönlichen Weg gehört, der in die Akzeptanz einerseits des eigenen Lebens, wie auch andererseits des eines Anderen, fallen muss, und dass gerade der Mensch dafür ausgerüstet ist, damit liebevoll umzugehen.
Das ist absolut menschenwürdig!
Dieser Ausspruch wird einzig davon genährt, dass die große Einsamkeit die eigentliche Angst ist und sie streuen deshalb Floskeln, die sie selber beruhigen sollen. Es aber niemals können.
Denn in Wahrheit haben sie Angst vor dem, wie sie mit Sterben umgehen und fürchten sich davor, dass es ihnen genauso ergehen wird, sie bestenfalls in die Obhut pflegerischer Betreuung abgeschoben werden. Doch diese große Einsamkeit kommt daher, dass sie selber sie nicht überwinden können. Aber bereits im Leben, nicht erst im Sterben.

Manchmal trifft es mich auf dem falschen Fuß, wenn ich meinen Weg der Begleitung durch Krankheit, Demenz oder Sterben gehe und mir dann von Jemandem, der an der Tür stehen bleibt und sich dort in Tränen auflöst und wieder davonrennt, sagen lassen muss:
„Ich bewundere dich. Ich kann das nicht. Ich hab da zuviel Gefühl dafür, bin nicht so hart wie du …“

Aber nur manchmal, meistens bin ich glücklich, dass ich es anders gelernt habe. Gelernt habe, das Selbstmitleid so gut als möglich aus meinem Leben auszuschalten und es wirklich nur darauf zu reduzieren, wo es auch tatsächlich mich betrifft.
Und Trauer annehmen zu können, wie sie auch Trost gibt.

© evelyne w.