In der Umarmung des Alters V.

 

Maler des Lebens

Herbstlich bunt ist mein Blick geworden. Und ich stülpe seine Wärme in mich. Sammle Laub. Je länger ich lebe, desto mehr Wärme konnte ich in meinem Inneren sammeln. Im Winter, wenn ich nicht mehr vor die Tür gehen kann, wird es bunt und warm in mir sein.

Ich denke an die Jugend. Zuviel Schwarz-weiß in meinem Streben. Die Buntheit kam von Plakatwänden. Trug Hochglanz nur in Magazinen.
Meine Augen suchten die Ferne. Sie verhieß das Glück des Frühlings. Die Hitze gaukelte die Liebe des Sommers. Zu mir.
Wer mich nicht liebte, war ein schwarzer Punkt. Wer mich liebte, falsch informiert. Ich selbst, ein blinder Fleck. Und doch nicht weiß.

Erst kam das Grau. Dann die Erkenntnis.
Erfahrung ist der Maler des Lebens. Ich habe ihn getroffen. Zur rechten Zeit.
Mein Herbst ist bunt. Im Winter wird mein Haus warm sein.

 

In der Umarmung des Alters IV.

 

Sehen und gesehen werden.

Sehen.
Natürlich trage ich eine Brille. Und natürlich ist sie bunt. Ich sehe damit, was ich sehen will. In der Nähe sehe ich besser. Und das ist gut. Nähe ist wichtiger geworden. Nähe richtig zu erkennen.
Für die Weite nehme ich die Brille ab. Alles wird weich. Und ich sehe mit dem Herzen.

Gesehen werden.
Ist nicht mehr so wichtig. Ich will auf kein Plakat. Und auf keine Bühne mehr.
Will die Nähe. Und die – sehe ICH.

 

In der Umarmung des Alters III.

 

Paradiesisch

Nichts mehr zu müssen.
Ein paradiesischer Zustand. Der nur von wenigen erkannt wird. Ich verstehe das nicht. Ich genieße.
Ein Leben lang habe ich gearbeitet. Für andere. Für mich. An mir.
Jetzt ernte ich.
Natürlich habe ich es gut. Ich war nie Sportlerin. Ein Manko in früheren Jahren. Heute nicht mehr.
Und mein Körper dankt es mir.
Apropos Körper. Ich liebe meinen Körper. Endlich. Früher und noch früher waren alle schöner. Waren alle schlanker. Dachte ich. Heute nicht mehr. Heute denke ich.
Heute sehe ich aus, wie man in meiner Altersgruppe aussieht. Vielleicht entspannter als so viele. 5 Jahre mehr. 5 Jahre weniger. Oder gar 10? Wen interessiert’s? Ich habe nicht verloren. Die anderen schon.

Gedanken habe ich mir gemacht. Viele. Immer geforscht. Immer gesucht. Oft wurde ich dafür belächelt. Heute lächle ich. Meine Gedanken haben mir Wege gezeigt.
Das Alter zu genießen. In innerer Jugend. Nicht in äußerer.

 

In der Umarmung des Alters II.

 

getarnt

Ich färbe mein Haar. Herbstrot. Lodernd. Orange. Ich werde es noch mit neunzig tun. Es ist mein Leuchtturm. Werde sofort gesehen. Und meine Tarnkappe. Bedecke ich es, bin ich unsichtbar.
Es ist angenehm. Sich selbst anknipsen zu können. In Gesellschaft. Nur mehr gesehen zu werden, wenn man es will.
Niemand stellt meiner Jugend nach. Meinem Arsch. Meinem Busen.
Und sieht nicht mich. Und hört nicht mich. Und liebt nicht mich. Ist nur verliebt. In die Jugend.

Ich gebe was ich tue. Ich gebe was ich bin. Ich gebe meine Jugend. Mir. Und dem der sie erkennt. Hört er meine Worte. Sieht er in meine Augen. Sucht nicht mein Haar.

 

In der Umarmung des Alters I.

 

Wie hoch noch?

Älter wollte ich sein. Immer schon. Die meisten Menschen wollen das. Kinder sowieso. Auch die Jugendlichen. Erwachsene verschieben ihr Leben auf später.
Bei vielen verliert sich der Wunsch des Älterwerdens. Irgendwann. An seine Stelle tritt Ambivalenz. Später die Angst. Nicht so bei mir. Ich möchte immer noch älter werden. Und bin doch für die meisten schon alt.
Die Höhe, die ich nun erreicht habe, gab es vorher nie. Zu viel Ballast beschwerte meine Tage. Jetzt ist das Fliegen leichter.
Die Spannung steigt. Wie hoch werde ich schwingen?