In der Umarmung des Vergessens VI.

 

Der Besuch III.

Die Freude fühlt sich warm an. Meine. Und auch ihre.
»Hier ist es so schön«, sagt sie. »Jedem gefällt es. Alle sagen, bei mir ist es am schönsten.«
»Es ist auch wirklich schön hier«, bestätige ich. »Von wem hast du die Puppe bekommen?«
»Die gehört mir.«
»Ja, aber von wem hast du sie bekommen? Die ist wirklich hübsch.«
Ihre Augen werden unruhig. Sie bringt ihr Gesicht ganz nahe an die Puppe. Ihr Oberkörper schaukelt von links nach rechts.
»Ich … ich …«. Sie greift nach der Puppe. »Da hast du sie«, stößt sie dann heraus.
»Nein, lass nur, es ist deine Puppe.«
»Aber … wenn … ich … du …«
Ich umarme sie. »Lass nur, ich habe keinen Platz für sie. Bei dir hat sie es schön.«
Sie strahlt.
»Es ist so schön. Jedem gefällt es bei mir.«
Ich küsse sie auf die Schläfe. Sie ist so klein geworden.

»Ich schaue dir nach«, sagt sie an der Tür. »Solange ich dich sehe.«
Ich drehe mich um. Sie winkt.
Ich drehe mich noch einmal um. Ihre Augen sind zusammengezogen.
»Sie ist weg«, höre ich sie murmeln. »Sie ist weg.« Ihr Gesicht bekommt einen leeren Ausdruck.
Ich gehe zurück. Will sie noch einmal küssen.
Ihr Gesicht leuchtet erfreut auf.
»Wie schön«, sagt sie. »Ich habe schon so lange auf dich gewartet. Ich habe gedacht, du kommst nicht mehr.«

 

In der Umarmung des Vergessens V.

 

Vom Verstehen

Am Anfang stand die Ungeduld.
Alle waren ungeduldig mit ihr. Auch ich.
Da weinte sie. Viel. Und auch ich.

Dann kam der Tag. Ich verstand das Verstehen.
Wenn sie mich nicht versteht, dann verstehe auch ich sie nicht.
Könnte ich sie verstehen, würde ich nichts von ihr fordern.
Der Augenblick wäre Geschenk. Für sie. Und auch für mich.

Warum verlangte ich es dann von ihr?
Verstehe ICH denn nicht?

Doch! Seither schon …

 

In der Umarmung des Vergessens IV.

 

Die Flucht hat ein Ende


Immer war sie auf der Flucht. Vor den Prügeln ihres Stiefvaters. Vor dem Leben. Vor dem Muttersein.
In die Krankheit.
Immer floh sie in ihre eigene Welt. Ohne Partner. Ohne Kinder.
Mit Hilfe der Ärzte.
Wohlbefinden gestand sie sich nie zu. Die Krankheit schützte sie vor Verantwortung.
Die Abhängigkeit gab Struktur. Bot Halt.

Jetzt ist sie glücklich. Alles geschieht von selbst. Nichts wird von ihr verlangt.
Auf dem Balkon hat sie ein ruhiges Plätzchen. Erstmals in ihrem Leben hat sie keine Angst.
Auch ihre Suche hat ein Ende. Und ihre Flucht. Endlich ist sie angelangt.

 

In der Umarmung des Vergessens III.

 

Die Suche hat ein Ende

Sie war zu jung, als sie Mutter wurde. Labil, nicht belastbar, immer überfordert, meistens hilflos. Zu jung.
Heute denke ich, auch wenn sie älter gewesen wäre, es hätte nichts geändert. Sie war auf diesem Weg. Mit Kind oder ohne.
Sie war kein Vorbild. War kein Halt. Ich war auf mich allein gestellt.
Später wollte sie sich auf mich stellen. Sie war die Mutter. Sie wollte fordern.
Doch ich ging meinen Weg. Ohne sie. Zusammenkünfte blieben Besuche.

Dann kamen Tage des Erkennens. Ich folgte ihren Spuren. Das war nicht das, was ich für mein Leben wollte.

Ich suchte Liebe. Fand sie nicht bei ihr.
Als ich sie bei mir fand, wusste ich um ihr Defizit. Das war zu wenig. Für mich.

Ich suchte sie. Fand sie in mir. Wollte mich lösen. Von ihr und meinem Defizit.
Ich suchte mich. Fand sie in mir. Erkannte meinen Weg. Zu ihr.
Heut lieb ich sie und dadurch mich. Die Suche hat ein Ende.

 

In der Umarmung des Vergessens II.

 

Der Besuch II.

Und wieder steht sie vor mir. Es geht ihr gut. Ich sehe es. Die Freude wächst aus meinem Bauch. Ihre wächst in ihr Gesicht.
Ich umarme sie. Klein ist sie geworden. Zugenommen hat sie. Die vielen Kekse. Und doch fühlt sie sich so zerbrechlich an.
»Wie geht es dir?«, fragt sie.
»Mir geht es gut, aber wie geht es dir?«
»Na gut«, antwortet sie. Schüttelt den Kopf. Beinahe erstaunt.
Jetzt lächle ich. An die vierzig Jahre lang habe ich diesen Ausspruch nicht von ihr gehört. Sie hat vergessen, dass es ihr nie gut ging.
»Ist es nicht schön hier?«, fragt sie mich. Ich nicke.
»Du musst es einmal am Abend sehen. Da sitze ich dort draußen. Es ist ganz ruhig. Nur ein paar Lichter.«
»Siehst du sie denn?« Ich bin überrascht. Seit Jahren ist sie so gut wie blind. Vor allem für die Ferne.
Sie nickt. »Es ist so schön. Ganz ruhig. Jedem gefällt es, der zu mir kommt. Es ist wirklich schön. Jeder sagt das.«
»Mir gefällt es auch. Bist du froh, dass du hier bist?«
Sie nickt. »Es ist so schön. Alle kommen … Allen gefällt es bei mir. Sie kommen … alle … gern.«
»Mir gefällt es auch.« Ich küsse sie auf die Schläfe.

Ja, endlich komme ich auch gern.
Es war nicht immer so.

 

In der Umarmung des Vergessens I.

 

Der Besuch I.


Sie steht in der Mitte des Zimmers. Ihre Augen werden groß. Ein überraschtes Grinsen überzieht ihr Gesicht.
»Na endlich! Ich dachte, du kommst gar nicht mehr!«
»Ich war doch erst vorgestern hier.«
Sie wendet sich ungläubig lächelnd ab. Mit trippelnden Schritten geht sie zum Tisch. Zupft an dem Kunstblumenstrauß. Echte darf sie hier nicht haben.
Die mitgebrachte Kekspackung entlockt ihr ein glückliches: »Das hilft mir.«
Sie schaut sich suchend um. In ihrem Gesicht arbeitet es.
»Ich gebe sie dir in dein Nachtkästchen.«
»Nein, dort finden sie sie gleich.«
»Wer?«
»Hier stehlen sie wie die Raben.«
Auf dem Mülleimer liegt zusammengefaltet der Überzug der Bettdecke.
»Warum hast du das Bett abgezogen?«
»Ich kann es nicht, es ist mir zu schwer.«
»Du brauchst es doch nicht selbst zu machen. Die Schwestern machen das schon. Aber warum hast es abgezogen?«
»Ich kann es nicht. Früher habe ich es immer gemacht. Ich kann es nicht mehr.«
»Komm, ich mache es.«
»Ich kann es nicht, es ist mir zu schwer.«
Sie trippelt zum Kasten. Wühlt in den Laden.
»Du musst mir … ich habe keine …«
»Was suchst du denn?«
Sie zeigt auf ihre Füße. An jedem Fuß ein anderer Socken.
»Sie haben sie mir weggenommen.«
»Aber da sind sie ja.«
»Wie hast du sie gefunden?«
»Hier sind sie doch.«
»Sie haben dich gesehen und sie rasch wieder hineingelegt.«
»Niemand nimmt dir etwas weg. Du vergisst nur manchmal ein bisschen was.«
»Du hast keine Ahnung, wie es hier zugeht.«
Wieder starrt sie auf ihre Füße.
»Ich habe keine …«
»Komm, wir gehen auf ein Eis. Ja?«
»Ich kann nicht. Ich habe keine …«
»Du brauchst keine. Komm, wir gehen.«
»Aber wenn ich weggehe, kommen sie.«
»Nein, niemand kommt. Ich schaue dann nach, wenn wir zurück sind.«
»Brauche ich einen Stock?«
»Nein, ich bin ja bei dir.«
»Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.«

 

Gedanken über die Mutterliebe/II

 

2.

Daraus ergibt sich natürlich logischerweise, dass andererseits eine Mutter, die ihr Kind „perfekt“ betreut, dies noch lange nicht aus Liebe machen muss.
Sie kann das aufgrund von Neurosen machen
• aus Minderwertigkeitsgefühl – um anderen etwas beweisen zu wollen
• was auch oft vorkommt: um ihren Besitz zu pflegen
• kann ihre eigenen Defizite damit decken wollen

und da gibts noch einiges, wie sich denken lässt.
Und all das, um sich selbst den Schmerz der Erkenntnis sparen zu müssen, nicht lieben zu können.
Und wie wir vorher schon „gelernt“ haben, sich selbst nicht lieben zu können. Denn das ist der größte Schmerz im Leben eines Menschen.

Nicht, wenn ihn seine Mutter nicht liebt, oder der Ehepartner. Schon gar nicht, wenn das Kind ihn nicht liebt, sondern wenn die Selbstliebe fehlt, dann gibt es keine Liebe im Leben eines Menschen und er setzt mehr oder weniger Ersatzhandlungen, um sich diesen Schmerz zu ersparen. Füllt sein Leben mit Ersatz, weil die wesensgerechte Fülle fehlt.

Aber ein erwachsener Mensch ist für seine Selbstliebe selbst verantwortlich!
Wenn ihn seine Eltern diese also nicht lehren oder vorleben konnten, dann kann er sie als Erwachsener noch jederzeit lernen und ist dann auch dafür zuständig. Und nicht mehr die Mutter …

Da die Mutter eines Erwachsenen nicht mehr in dem Einssein-Paket enthalten ist, kann er sich eindeutig selbst dafür und dazu entscheiden, WIE er liebt.
Nur – wenn es LIEBE sein soll, und nicht das Weiterführen der dynamischen Vorgänge, die die Altvorderen in ihn abgesenkt haben, dann muss aus der Selbstliebe Liebe erwachsen, also auch die Liebe zur Mutter – egal was sie getan hat … DAS wäre das ANDERE.

Die Liebe zur Mutter ist deshalb so wichtig, weil sie Liebe zu den Wurzeln eines Menschen ist, weil er ohne seine Mutter ja nicht in und auf dieser Welt wäre. Da ist keine Dankbarkeit vonnöten, wie das leider von so vielen Müttern „gefordert“ wird, aber die Liebe schon.
Lieben ist ein Prozess der Weiterentwicklung. wo eines aus dem anderen erwächst. Wenn wir also das nicht lieben, woraus wir erwachsen sind, dann fehlt uns eindeutig die Grundlage unserer Liebe. Denn wie wir sofort erkennen können, die Grundlage zur Selbstliebe.

Und noch etwas:
In der gesamten Schöpfung ist es so, dass Eltern ihre Kinder bis zu ihrem Erwachsensein begleiten und dann werden sie losgelöst.
Nur dem Menschen ist diese selbstverständliche Loslösung verstellt und zwar aufgrund seines Bewusstseins, aufgrund der Möglichkeit, bewusst eingreifen zu können. Nun könnte der Mensch sich bewusst zur Liebe entscheiden, zu seiner menschlichsten Fähigkeit. Das tut er leider aber meistens nicht. Und zwar aufgrund von dynamischen Vorgängen! Nicht aus Mangel an Mutterliebe!

Aber Pflege, Betreuung, Betüdelung kommen aus dem Sozialbedürfnis und sind kein unbedingtes Indiz dafür, lieben und Liebe weitergeben, bzw. ausdrücken zu können.

 

Der Schnörksel

Selbstironie und Überhebung

Zitat aus dem Wörterbuch:
Schnörkel, der – Beiwerk, Zierat überreiche Verzierung, stilistische Übetriebenheit
Verschnörkelung, die – Zierde, Dekor, Rankenwerk

Ich persönlich nenne den Schnörkel lieber liebevoll Schnörksel – das klingt für mich ansprechender als Bestandteil einer Persönlichkeit -, auch wenn nicht alle auf den ersten Blick gar so liebenswürdig erscheinen.

Als Grundlage besehen wir uns nun einmal den baulichen Schnörkel. Was soll dieser bewirken? Er soll eine gerade klare Baulinie „verschönern“. Wir sollen das Gesamtwerk gerne anschauen wollen, es schön finden, es lieben. Doch er verschönert nur die Fassade und lenkt dadurch die Aufmerksamkeit auf sich und diese Fassade. Er stellt sich damit eindeutig zwischen den Betrachter und das Gebäude.

Auch der stilistische Schnörkel lenkt die Aufmerksamkeit in erster Linie auf sich. Die Überzeichnung kann zum Selbstzweck werden. Der Stil wird dann über den Inhalt gestellt.

Was wir nun an diesen beiden Beispielen bereits erkennen können, ist, dass der Schnörkel von Inhalt und gerader Linie ablenkt, auch wenn ihm diese Rolle vielleicht ursprünglich nicht zugedacht war. Vielleicht hätte er ursprünglich auf den Inhalt aufmerksam machen sollen. Von der geraden Linie lenkt er aber in jedem Fall ab. Doch auch, wenn er auf den Inhalt aufmerksam machen sollte, ist als Grundvoraussetzung dafür einmal anzusehen, dass der Inhalt ohne Schnörkel nicht interessant genug wäre. Oder, nicht schön genug wäre. Oder gar abstoßend wirken könnte.

Und damit sind wir auch bereits beim persönlichen Schnörkel angelangt, in Folge nur mehr Schnörksel genannt.

Auch der Schnörksel hat die Aufgabe, die dahinter liegende Persönlichkeit optisch aufzuputzen, um so eine Annäherung an die Gemeinschaft zu erleichtern. Doch auch hier hat er eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Auch der Schnörksel lenkt in erster Linie von der dahinter liegenden Person ab.
Und genau dieser Vorgang ist von der Persönlichkeit gewünscht, wenn auch meistens unbewusst!
Nun kommt aber noch ein wesentlicher Faktor dazu: Nachdem sich eine Persönlichkeit diese Schnörksel ja selbst aufsetzen muss – sie werden nicht von einem Baumeister angefertigt und angebracht, benötigt diese Person enormen Energieaufwand dafür. Dieser muss natürlich aus anderen Bereichen abgezogen werden und kann man so eigentlich leicht die Energievergeudung entlarven, dient er doch nicht der Entwicklung einer Persönlichkeit, sondern der Ablenkung von dieser Persönlichkeit.
Der persönliche Schnörksel kennzeichnet also nicht den verschnörkelt verschönerten Zustand einer Person oder Persönlichkeit, sondern den energieaufwändigen Vorgang der Ablenkung vom Inhalt seiner Persönlichkeit.

Wofür verschwendet nun der Schnörksler seine Energie?

Die sympathischere Form ist wohl die Selbstironie.
Der Schnörksler weist also einigermaßen humorvoll auf seine Unzulänglichkeiten hin und schlägt damit nun einmal gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe auf seinem Weg in die Gemeinschaft.
Als erstes signalisiert er damit einemal rationalen Verstand. Er weiß worum’s geht.
Als zweites signalisiert er damit eine gewisse Ohnmacht, die aber doch nur „menschlich“ ist.
Drittens signalisiert er damit eine gewisse Aufbruchsstimmung, die ihn wieder viertens der Verantwortung enthebt, bestimmte Aktionen zu setzen.
Und fünftens bietet er damit der eigenen Persönlichkeit enormen Schutz, liefert er sich doch sofort den rationalen Grund für Zurückweisung, Unverständnis, Kommunikationsprobleme, Liebesverlust, mangelnde Selbstliebe, aber auch mangelnde Liebesbereitschaft und Beziehungsunfähigkeit, usw. Die Kennzeichung des mangelnden Selbstwertgefühls ist ja wohl gegeben.

Der gerade Weg, um nun ein anderes Schlagwort zu gebrauchen, wäre aber eindeutig (und ganz einfach), eine Aktion zu setzen, die alle diese Vorgänge nicht notwendig machen würde. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, die persönliche Energie dafür zu verwenden, dem Menschsein gerecht zu werden, als sie darauf zu ver(sch)wenden, zu erklären, warum man der menschlichen Anforderung nicht gerecht wird.

Wie wir nun sehen, ist die Selbstironie wohl ein charmanter Beitrag zur Kommunikation (selbstironische Menschen werden von ihrer Umgebung meistens gern gesehen), doch liegen ihr die gleichen Ursachen zugrunde, wie z. B. der Überhebung, die doch aber eine wesentlich uncharmantere Kommunikationsform darstellt.
Tatsache ist, dass die Selbstironie nichts anderes ist, als psychologisches Training, und in erster Linie negatives Training! Aus der dauernden Signalisierung an das Unterbewusstsein ich weiß es, aber ich kann nichts machen, entsteht natürlich ein schwerer Konflikt in der Persönlichkeit. Weiters bringt ein ewiges Vorsagen der eigenen Unzulänglichkeiten ein Anerkennen derselben mit sich, eine Veränderung ist deshalb ausgeschlossen.
Wie bei allem auftretenden Humor liegt diesem letztendlich die persönliche Wahrheit zugrunde. Selbstverständlich ist Humor, und somit auch die Selbstironie, sogar Ironie und Zynismus, wenn sie sich nicht wirklich nur gegen einzelne Personen richten, ein ganz wichtiger Bestandteil der menschlichen Kommunikation. Doch sollte eben auch Humor in allen seinen auftretenden Erscheinungsformen zur Entwicklung der Persönlichkeit und auch der Gemeinschaft beitragen. Humor in seiner reinsten Form sollte der Lebensfreude entspringen oder dienen und sich nicht aus der Freude an Unzulänglichkeiten irgendwelcher Personen oder Persönlichkeiten ableiten. Selbstironie sollte so gesehen also anregen, zu hinterfragen, was damit erreicht oder auch abgesichert werden soll.

Es sollte herausgefunden werden, wovon dieser Schnörksel ablenken soll, warum die dahinter liegende gerade Baulinie verschönert werden soll, warum sie vermeintlich nicht ausreicht, um andere Menschen zum Eintritt in dieses Haus zu verleiten.

Es gibt aber nicht nur Schnörksel, die der Verschönerung dienen. Eine weitere begriffliche Defintion der Verschnörkelung wird mit Rankenwerk gesetzt.
Nun, diese Defintion weist uns ja förmlich auf den persönlichen Schnörksel hin. Umso dichter dieses Rankenwerk gestaltet wird, desto uneinsehbarer wird logischerweise die Persönlichkeit. Wie oft aber werden auch Bauwerke nur mehr vom äußerlichen Rankenwerk zusammen gehalten. Sie sind auch wunderschön anzuschauen, doch wird ein Stück der großartigen Verzierung abgehoben, sieht man, dass die darunter liegende Fassade schwerst beschädgit ist. Wird dieses Rankenwerk nun gar beseitigt, dann kann es passieren, dass aufgrund des Wegfallens der äußerlichen Stütze das ganze Gebäude zusammenbricht.

Es ist also klar erkennbar, dass dieses Rankenwerk nun nicht nur der Verschönerung dient (vielleicht handelt es sich sogar um Ornamente, die fast niemandem gefallen), sondern dass es vielmehr zum wichtigen Stützwerk geworden ist.

Genauso ist es natürlich auch wieder bei unserem Schnörksel. Er fungiert also nicht nur für die charmante Selbstironie als Selbstzweck, sondern für alle psychologischen Vrogänge, die der Abgrenzung einer Persönlichkeit dienen. Und damit auch der wesentlich unsympathischeren Überhebung.

Auch die Überhebung sichert eine mögliche Zurückweisung vorweg, liefert erstklassige Rationalisierungen für Nicht-verstanden-werden, mangelnde Liebesbereitschaft und auch Selbstliebe und verschleiert äußerst gekonnt geringes Selbstwertgefühl und die wirklichen Ursachen für Kommunikationsprobleme. Auch die Schnörksel des Überheblichen sind aus dem gleichen „Material“: Der überhebliche Schnörksler verschwendet seine Energie ebenso auf den Vorgang der Überhebung, also für den Ausbau von Abgrenzung und Abwehr, anstatt sie für seine menschliche und spirituelle Entwicklung einzusetzen.
Er verwendet seine persönliche Arbeitskraft nicht dafür, sein Haus zu bauen und in ihm zu wohnen, sondern er baut Zäune, Barrieren und schmückendes Beiwerk. Und in der Zwischenzeit verfällt sein Haus, wird ungemütlich und im Extremfall für ihn selbst letztendlich unbewohnbar.

Auch hier sollte nun also herausgefunden werden, wovon der Schnörksel ablenken soll. Warum es so wichtig erscheint, die Bausubstanz verbergen zu wollen, warum es so wichtig ist, den Anderen eine so perfekte Ansicht zu bieten, dass sie mit vor Staunen offenem Munde vor dem Haus stehen bleiben und es nicht zu betreten wagen.