Von der Dummheit der Menschheit

 
Ja, da sind sich alle einig. Die Anderen sind blöd! Zumindest die meisten.
Und es gibt ja wohl nicht Schöneres, als darauf hinzuweisen. Zitate werden verbreitet, Kolumnen, Gedichte und Texte jeder sonstigen Art werden zu diesem Thema geschrieben oder in Umlauf gebracht. Und ein Rundum-Schulterklopfen setzt ein. Täglich. Überall.
Und besonders natürlich im Netz. Facebook und Twitter sind wunderbare Beete, aus denen solche Teilen-Texte blühen, die die Brillanz des Posters bestätigen sollen.

Und ich frage mich: Sind diese Menschen denn alle klug?
Ist es ein Zeichen für Intelligenz, in den Worten eines Brandmarkers Wahrheit zu erkennen?
Genügt es denn, um gescheit zu sein, das Anprangern der Dummheit der Anderen zu verbreiten?
Ist ein Schulterschluss zur Schadenfreude ein Zeichen für Denkvermögen?

Wo beginnt die „Dummheit“ der Menschen?
Die Dummheit der Menschen hängt nicht an der Bildung. Wissen hat noch niemals klug gemacht. Wissen manipuliert!
Intelligenz beginnt nicht im Kopf, sondern im Bauch.

Menschen, die sich korrumpieren lassen, sich Machtgefügen unterwerfen, sich von Parolen bestimmen lassen, werden auch diese Texte als Parolen an ihre Fahnen hängen.
Werden sich zur einen Seite drehen, um durch ein Nicken und Weiterverbreitung Intellekt bezeugen zu wollen und sich dann zur anderen Seite drehen, und genau das machen, das mit diesen Worten aufgezeigt wird.

Auch die selbsternannten Aufrüttler handeln nach dem gleichen Schema. Millionen von negativen Nachrichten und Gräuelfotos werden täglich durch die Medien geschleust. Und kein einziges hat jemals zur Verbesserung der Welt beigetragen.

Denken denn die Gescheiten und Guten nicht?

Wer sieht sich denn diese Bilder an? Wer liest denn diese Horrornachrichten?
Entweder begeilen sich die Psychopathen daran oder die Aufmerksamkeitshascher lachen sich in die knallharte Faust, finden sie sich als Mittelunkt der Teiler-Gemeinde.

Der gesunde Mensch sucht andere Nachrichten, überfliegt deshalb diese Hiobsbotschaften mit halbgeschlossenen Lidern.
Denn der Mensch ist mit einem ganz wichtigen Instrument ausgerüstet, um die Tragik der Menschheit überleben zu können: mit der Abstumpfung!

Abstumpfung, Verdrängung und Rationalisierung sind Überlebensmechanismen der Menschen. Sonst müssten wir uns alle schon längst vor lauter Angst und Schrecken gemeinschaftlich über die Klippe des Endes der Welt in die Tiefe gestürzt haben. Wenn wir das ganze Ausmaß der menschlichen Nachtseite, ohne Filterung und Abwehrautomatik wahrnehmen müssten.

Verbreitung von Parolen über Dummheit oder Fotos von gemarterten Kindern oder Tieren zeugen nicht von besonderer Klugheit oder besonderer Güte, sondern verleiten zum Schulterschluss der Nickergemeinde. Und zum hilflosen Achselzucken der Randgruppe von Willigen.

Ich habe eine wunderbare FB-Freundin, die sich dem Tierschutz widmet. Sie holt gequälte und kranke Tierchen zu sich, pflegt sie auf ihre Kosten gesund und sucht dann gute Plätze für sie. Unermüdlich. Sie braucht keine Horrorfotos, um Willige zu finden, die ihr zur Seite stehen. Sie braucht keine Anschuldigungen an den „Rest der Menschheit“, dass er sich um nichts kümmert. Sie braucht ihre ganze Energie für die Taten die SIE setzt!

DAS erscheint MIR klug. Das Verstärken positiver Energie. Damit könnte man die Welt retten!

Und genauso sehe ich das auch bei Texten. Überheblichkeit zu demonstrieren, indem man die Dummheit der Anderen pauschal anprangert, macht für mich noch lange keinen gescheiten Menschen aus. Abgesehen davon, dass die faschistische Grundlage mir immer ein Gruseln verursacht. Und Menschengruppen pauschal abzuurteilen, IST immer faschistoid!

© evelyne w.

 

entladen

 
die wolken
hängen tief
regenschwere trieft
aus meinen säumen

die füße haltlos
im schlamm
der bis zum horizont
sich drängt

bevor jedoch
die nacht anbricht
entlädt sich das gewitter

der sturm trocknet
mein kleid
den boden

und
die sonne steigt
unbelastet
aus dem dunst
des morgens

© evelyne w.

 

leinen los!

 
vom leib will ich
mir halten euch
die ihr mit blicken
losgelöst
von aller wahrheit
kapitäne spielt
auf den papierschiffen
der eitelkeit
im schmeichelsog
die segel refft
um unter meiner haut
zu ankern

und werde doch
niemals zu leben wissen
leinenlos

© evelyne w.

 

„Flossenbürg – Ein Spürbericht“ an der Austin Peay State University in USA


Anfang dieses Jahres wurde an der Austin Peay State University in Clarksville, USA, im Rahmen eines Deutschkurses das Thema Holocaust behandelt. Im Zuge dieses Kurses wurde mein Booklet in 2 Etappen gelesen und anschließend besprochen. Auch meine Video-Lesung war Bestandteil der Auseinandersetzung der Studenten.
Im Anschluss daran erhielt ich nun den angeschlossenen Brief.

Die Motivation zum Schreiben dieses Booklets – Zitat, S. 59:

    „Ich will darüber schreiben, sagte ich, vielleicht kann ich damit ein paar Menschen erreichen. Und wenn es nur einer ist … wenn jeder, der sich damit auseinandersetzt, auch nur einen einzigen ermuntern kann, einem damit weiterhelfen kann … würde die Welt bald anders aussehen.“

 
hat damit auf eine nicht erwartete, aber umso eindrucksvollere Art für mich Bestätigung erhalten.
Darüberhinaus habe ich die Genehmigung der Studenten erhalten, Ihr Schreiben zu veröffentlichen, weil auch sie jede nur mögliche Gelegenheit ergreifen wollen, andere Menschen auf diese Weise zu motivieren.

Mein ganz besonderer Dank geht zu diesen wunderbaren jungen Leuten nach Amerika!

apsu brief

_____________________________________________________________________________________

70 Seiten
€ 7,50
ISBN 978-3951-99072-9

 

Lerne . Selbst . Lieben!


Oft werde ich gefragt, woher denn mein selbsternannter Titel „Liebesforscherin“ käme.
Ich antworte hier mit einem Teil aus dem Vorwortkapitel „Warum“ aus meinem Buch, in dem ich mich der Liebesforschung widmete.
Die Erkenntnisse, die ich in diesem Buch niederschrieb, haben die Richtung meines Lebens vor ca. 25 Jahren entscheidend verändert. Sie haben mich aus Krankheit und Sinnentleertheit in ein kreatives, glückliches Leben gewiesen.
Ich habe auch erst danach zu schreiben begonnen …

Dieses Buch ist eigentlich kein Buch, sondern ein gebundenes Manuskript. Da es leider keinen Verlag gefunden hat, ich aber bekanntlich immer wieder zu Lesungen und Diskussionen eingeladen werde, habe ich dieses Referenz- und Lektoratsexemplar angefertigt.
Gegen eine Schutzgebühr von € 9,90 gebe ich es bei meinen Lesungen an meine Hörer ab und versende es an Interessenten, die mir ein Mail schicken.

Inhaltsangaben und Textproben befinden sich
auf meiner Homepage unter Lerne Selbst Lieben!

lerne selbst lieben


Warum

Die Liebe als Phänomen zu beschreiben, ist ein schwieriges Unterfangen. Denn in dem Augenblick, in dem man die Liebe mit Worten zu erklären versucht, ist sie von der Liebe bereits weit entfernt. Sie wird zur Theorie. Ich meine nun nicht damit, dass Liebe ein theoretisches Phänomen ist, sondern es ist ganz einfach so, dass die Liebe nur zu spüren ist. Sie ist nicht zu erklären.
Warum will ich es dann überhaupt versuchen?
Ich will es deshalb versuchen, weil es so viele Erklärungen der Liebe gibt, die für mich mit dem Wesen der Liebe absolut nichts zu tun haben, die aber von einer so großen Anzahl von Menschen bereitwillig aufgenommen wurden, dass sie sich zu einer allgemeinen Meinung über die Liebe verdichtet haben. Und leider bringt sie den Menschen dadurch nicht ihre wesensmäßige Erfüllung. Denn die Liebe ist ein vollkommen autarkes Phänomen. Sie kann von Meinungen nicht verändert werden. Auch wenn viele Menschen das Gleiche meinen, so bleibt die Liebe noch immer die Liebe und ist nicht das, was die Menschen daraus zu machen versuchen.

Selbstverständlich kann auch ich nur mit meiner Meinung die Liebe zu erklären zu versuchen. Und deshalb auch der einleitende Hinweis auf Theorie. Meine Erkenntnisse über die Liebe stellen für mich einen Anhaltspunkt dar, der ein Umdenken ermöglicht. Wenn man niemals die Möglichkeit findet, eine wesensgerechte Perspektive auf die Liebe zu gewinnen, dann muss man einfach in der allgemeinen Meinung über sie verharren.

Ich selbst habe mich jahrzehntelang dieser allgemeinen Meinung angeschlossen und bin damit sehr unglücklich, und in weiterer Folge, auch krank geworden. Meine innere Leere wurde immer größer und ich konnte die Sinnhaftigkeit meines Daseins nicht erkennen.
Was sollte es für einen Sinn haben, 70 oder 80 Jahre lang auf dieser Welt zu verweilen, sich abzurackern und abzuplagen und dann, wenn man vielleicht ein bisschen etwas erreicht hatte, diese Welt wieder zu verlassen? Auch erschien mir das, was ich schon erreicht hatte, andauernd gefährdet durch meine Mitmenschen. Die Machtlosigkeit des Einzelnen gegenüber der Mehrheit schien Anstrengungen überflüssig zu machen. Was nützte es, friedlich und zufrieden dahinleben zu wollen, wenn politische Entscheidungen und Kriege, Frieden und Zufriedenheit empfindlich störten? Was nützte es, selbst gut und hilfreich sein zu wollen, wenn die Bösen alles zerstörten und die geleistete Hilfe zur eigenen Bereicherung verwendeten? Auch die Machtlosigkeit anderen einzelnen Menschen gegenüber schien dieses Dasein schwer zu beeinträchtigen. Was nützte es denn, zu lieben, wenn der, den man liebte, einen Anderen liebte? Was nützte es denn, für andere Menschen etwas zu tun, wenn einen die dann doch verließen oder zumindest das für sie Geleistete nicht anerkannten? Auch wurde das Leben immer beschwerlicher, je älter man wurde und wofür das alles? Um eines Tages in der Ewigkeit einfach zu verschwinden? Das ergab keinen Sinn.

Ich entdeckte dann den Sinn des menschlichen Daseins in der Liebe. Doch das, was ich entdeckte, unterschied sich so gravierend von der herkömmlichen Meinung, dass es mir zuerst einmal nur Angst bescherte. Angst, allein dazustehen. Und sofort traten wieder die alten Denkmuster auf: Was sollte es nützen, wenn ich den Sinn der Liebe erkennen konnte und diese Erkenntnis mich allein dastehen ließ? Weil meine Umwelt die Liebe nicht so erkennen konnte.
Doch ich war bereits infiziert. Ich sah das Scheitern meiner Mitmenschen an der Sinnlosigkeit, ich sah die Resignation meiner Mitmenschen an der Bürde ihres Lebens und ich spürte die Gefahr in mir, ebenso zu scheitern und ebenso zu resignieren. Und die Angst vor dieser Gefahr war größer als die Angst vor dem Alleinsein.
Heute weiß ich, dass dies bereits ein Akt der Selbstliebe war, ohne die es keine Liebe gibt. Ohne diesen Funken Selbstliebe wäre es mir niemals möglich gewesen, die Liebe zu finden und deshalb ist es für mich auch so furchtbar, mitansehen zu müssen, wie tief die Menschen diesen Funken Selbstliebe in sich vergraben haben, sodass es ihnen mit noch so großer Anstrengung nicht mehr möglich ist, die Liebe zu finden. Denn der Wunsch nach Liebe ist in jedem Menschen fundamental vorhanden.

Doch erschien es mir plötzlich logisch: Wenn ich nicht so leben wollte, wie die Mehrheit der Menschen, dann musste ich mich trauen, mich vom Allgemeindenken zu lösen. Dann musste ich mich trauen, mich der Allgemeinheit gegenüber zu sehen. Ich musste mich trauen, meinen eigenen Weg zu suchen, das für mich Wesentliche finden zu wollen. Ich erkannte, dass es nur so möglich war, den Anderen die Macht über mich zu entziehen, indem ich ihnen die Macht über mein Denken entzog. Mich nicht von ihrem Denken mitziehen ließ, sondern auf meine eigenen Gedanken und Gefühle achtete. Das war nun so konträr zu meiner bisherigen Einstellung und damit auch zur Einstellung der Mehrheit, dass ich mich einfach allein fühlen musste. Die Angst vor der Einsamkeit ist aber, ebenso wie die Liebe, ein fundamentaler Bestandteil der Menschlichkeit. Weil der Mensch als Gemeinschaftswesen, selbstverständlich Angst vor einem Leben ohne Gemeinschaft haben muss. Und auch meine Angst vor der Einsamkeit erschwerte mir die Sicht auf die Liebe noch längere Zeit.
Doch, wie gesagt, ich war infiziert. Ich hatte ein Zipfelchen gefunden, das ich bis dahin nie entdeckt hatte und ich wollte dieses Zipfelchen nicht mehr hergeben, weil es mir zu diesem Zeitpunkt, als ich es entdeckte, enormen Halt gegeben hatte. Doch Leben und Lieben sind lebendige Prozesse. Ausruhen auf einem entdeckten Zipfelchen kann man sich nur kurze Zeit. Dann muss man seinen Weg fortsetzen, denn sonst ist Leben und Liebe zu Ende.

 

Dementia-Poetry – Die Idee III. – Ergänzung

 

Immer wieder werde ich darauf angesprochen, dass einerseits so viele Wiederholungen in den Gedichten sind. Knapper wäre besser, meinen Viele. Andererseits sind die Geschichten so nett, aber da könnte man noch viel mehr hineinpacken.
Es „fehlt“ den Lesern so manches. Und meine Autorenkollegen hätten viele gute Ideen zur Ausschmückung.

Ich glaube, hier zeigt sich ein wesentlicher Punkt, warum so viele Menschen Probleme mit Demenzkranken haben. Weil sie immer von der eigenen Warte ausgehen.
Auch hier noch immer, obwohl ich versucht habe, mein Projekt und seine Zielgruppe so gut als möglich zu erklären.

Umso länger diese Geschichten dauern, umso mehr beschrieben wird, umso weniger können die Dementen folgen! Sie hören ja nicht zu, in diesem Sinn. Also die Geschichte, die erzählt wird, ist dabei unerheblich.
Es geht um Worte, Begriffe, die etwas in den Hörern auslösen. Aber eben immer nur vereinzelte Worte. Dieses Wort löst einen Ablauf in ihnen aus. Aber es nützt nix, einen Ablauf zu beschreiben. Sie haben ihre eigenen Abläufe dafür.
Das ist ja die Schwierigkeit dabei, Demente zu verstehen … wichtiger Bestandteil jedes Validationsprogramms.

Wie schon oft ganz deutlich geschrieben, ist es für mich sehr wichtig, dass Demenzkranke nicht wieder zu Kindern gemacht werden. Und gerade hier liegt ein wesentlicher Unterscheidungspunkt. Der für das Verständnis so unbedingt wichtig ist:

Kinder müssen erst lernen. Man kann ihnen etwas erzählen, das sie noch nicht kennen oder so noch nicht kennen, sie nehmen ihre Fantasie und bauen sich ein Filmchen. Umso mehr man erzählt, umso mehr können sie vielleicht dazu basteln. Sie lernen aus dem, was ihnen erzählt wird und aus ihrer Fantasie.

Bei Dementen gibt es keine Fantasie, sondern Erinnerung. Eigene Erinnerung!
Sie basteln keinen Film aus dem, was man ihnen erzählt, sondern aus dem was sie in sich finden.

Deshalb hat es keinen Sinn, ihnen Abläufe vorgeben zu wollen, Sie verwirren diese Menschen nur.

Begriffe müssen abgerufen und angesprochen werden und es muss ihnen Zeit gegeben werden, diese auch wirklich in sich zu finden und zuzuordnen. Umso mehr man darum baut, umso weniger können sie diese wichtigen Worte finden …

Es ist also kein Regress ins Kinderstadium, sondern eine Entwicklung, die aus ihren Lebenserinnerungen abgerufen wird! Selbst wenn sie sich vermehrt an ihre Kindheit erinnern, dann ist der Prozess aber ihrem Alter und ihrer Krankheit entsprechend und nicht dem Kinderstadium! Deshalb muss man mit diesen Menschen anders umgehen als mit Kindern, darf sie nicht zurückstufen, und dadurch herabwürdigen!

Und unter diesen Gesichtspunkten schreibe ich diese Texte.

Ich wiederhole, nicht weil mir nichts anderes einfällt und ich schmücke meine Geschichten auch nicht deshalb nicht aus, weil mir die Fantasie fehlt oder ich keinen größeren Wortschatz habe, sondern weil dies das Besondere an diesen Texten sein muss. Sonst könnte ich ja auch einfach nette Kurzgeschichten aus früheren Zeiten oder Kurzlyrik mit Erinnerungspotential verfassen.

Feedback zu diesen Texten ist ausdrücklich erwünscht! Und gerne auch Kritik! Aber bitte die vorgenannten Punkte dabei zu berücksichtigen, Kürzungen in den Gedichten oder Ausschmücken der Geschichten anzuregen, sind kein hilfreicher Kritikpunkt.

Danke!

 

Dementia-Poetry – Die Idee


Am Beginn stand die Einladung.
Die Einladung eines Pflegeheims, eine Lesung vor an Demenz erkrankten Menschen zu halten. Demenz in einem doch recht weit fortgeschrittenen Stadium.
Zuerst war ich erschrocken. Nicht wegen der Lesung an sich, sondern ich dachte – WAS kann ich dort lesen? Meine Texte eignen sich dafür nicht.

Die Betreuer meinten, darauf käme es nicht so sehr an, es wäre wichtig, WIE.

Bei den Adventveranstaltungen, die ich dann besuchte, beobachtete ich genau. Die meisten der gut 20 Personen saßen dabei und schauten mehr oder weniger interessiert auf die Bewegung, die dort ablief. Den Wechsel der Pfleger, die ihre Texte vortrugen. Ihren Worten konnten sie offensichtlich nicht folgen.
Die Musik kam gut an und – die Gebete! Denn die erkannten offensichtlich alle noch. Und viele konnten auch noch Teile davon mitsprechen.

Ich erkannte, die Veranstaltungen waren liebevoll ausgerichtet, schienen mir jedoch nicht auf die Hörer abgestimmt.

Und plötzlich drängte eine Idee in mir hoch.
Es gibt Gedichte für Kleinstkinder, deren Bewusstsein ebenfalls noch nicht begriffsorientiert ist. Sondern Klang, Rhythmus und Emotion beim Vortrag den Zugang zu ihnen schaffen.

Wieso gab es so etwas eigentlich nicht für jene Menschen, die am anderen Ende des Astes saßen?

Ich wehre mich absolut gegen die oftmals vertretene Ansicht, alte Menschen würden wieder zu Kindern. Das ist einfach nicht so. Und nimmt diesen Menschen die Würde, die ihnen meines Erachtens, nach einem erlebten Dasein zusteht.
Alte Menschen werden zu alten Menschen und zu sonst gar nix. Und es kann passieren, dass alte Menschen bestimmte Fähigkeiten, die sie im Laufe ihres Lebens erworben haben, aufgrund von Krankheiten wieder verlieren. Das ist eben so. Und nichts anderes!

Das zu akzeptieren fällt vielen Menschen schwer. Weil sie ihre eigene Angst vor einem solchen abhängigen Zustand damit verdrängen wollen.
Doch liegt es nicht gerade an uns, diesen Menschen ihre Abhängigkeit in Würde zu gestalten? Sie zu gleichwertigen Partnern zu machen? Indem wir unsere bewusst steuerbaren Handlungen dafür verwenden, uns auf ihre Augenhöhe zu begeben, um sie zu erreichen.

Kinder müssen nun einmal von den Erwachsenen lernen. Das ist der Weg, den die Entwicklung nimmt. Aber alte Menschen müssen nicht mehr lernen, Sie müssen mit dem leben, das ihnen zur Verfügung steht, weil sie nicht mehr lernen können.
Die Anerkenntnis dieser Konstellation müsste einen gesunden, mitfühlenden Menschen dazu auffordern, Hilfe auf dieser Ebene anzubieten und nicht auf der Ebene der Besserwisserei.

Gibt es deshalb keine Gedichte für Demenzkranke?
Weil Lyriker ihre Kunst nicht auf diese Augenhöhe absenken wollen?
Weil Wortdrechselei und Sprachgewalt, sowie die Dichte eines schicksalsträchtigen Inhalts viel mehr Möglichkeiten bieten, den Intellekt oder den Gefühlsausdruck eines Autors zu bewundern? Wir nicht für Menschen schreiben, sondern für Anerkennung unserer vermeintlichen Genialität?
Finden wir Schreiber alte und kranke Menschen unserer Kunst nicht würdig?
Oder fehlt uns das Können, ohne den Schutzschild des Sprachschatzes Emotion ausdrücken zu können?

Und es reifte der Entschluss in mir, diese Anregung zu verfolgen.
Die Reduktion erschien mir plötzlich verheißungsvoll zuzuwinken. Hier zeigte sich eine enorme schreiberische Herausforderung, dachte ich. Denn ich wollte keine therapeutischen Texte schreiben. Sondern Gedichte.

 

Dementia-Poetry – Handwerkliches


Ich stellte mir ein handwerkliches Grundgerüst auf.
Es geht mir darum, dass diese Menschen nicht so leicht mit Sätzen zu erreichen sind. Da sie auch oft Begriffe nicht mehr richtig zuordnen, kann man also nicht über den Inhalt an sie heran.

Es ist wichtig, in ihnen etwas zum Klingen zu bringen. Sei es durch einzelne Worte, die Erinnerung hervorrufen oder Schwingungen in ihnen auslösen. Durch Klang oder Rhythmus, oder Intensität der Wiederholung.
Ein Sing-Sang wäre gut, aber natürlich möchte ich nicht LaLeLu oder Tralala verwenden.

Also denke ich, die richtigen Ingredienzien wären

• Einzelne bekannte Begriffe aus dem Alltag
• nach Möglichkeit aus einem Alltag vor vielen Jahrzehnten
• Wiederholungen
• Klangbilder
• Auch sollte viel Raum bleiben, um den Hörern Zeit zu geben, die Worte anzunehmen, sie zuzuordnen, um sie dann in der Wiederholung wieder zu erkennen
• Der Inhalt sollte sich auf jeden Fall auf ein Erwachsenenleben beziehen
• Die Texte sollten so einfach vorzulesen sein, dass sie jeder vortragen kann – vornehmlich Angehörige. Einfach einen Rhythmus ergeben, um sich dem Hörer widmen zu können, nicht dem Vortrag.

Für eine öffentliche Lesung gäbe es natürlich noch besondere Punkte zu beachten.
• Nicht von einem Standort aus lesen, sondern auf die Leute einzeln zugehen, sie direkt ansprechen
• Blickkontakt suchen
• Eventuell mit Bewegungen oder auch Gegenständen unterstützen

Ja, und nun will ich einmal schauen, was aus meiner Idee wird. Werde ein bisschen herumexperimentieren.

Und – bin für Anregungen sehr dankbar!

Wenn jemand eine Idee hat für Begriffe, die ansprechen könnten, oder auch, wenn noch etwas wichtig erscheint, um verständlicher zu werden.
Oder auch wenn jemand einen Link weiß, wo es doch Texte für Demenzkranke gibt. Vielleicht habe ich ja nur nicht gut genug gesucht …

Da würde ich mich sehr darüber freuen und danke schon im voraus dafür!