Leben mit der Angst

Am Anfang stand mein ausgesprochener Wunsch, den Menschen die Angst nehmen zu können. Viele der Reaktionen haben mich erstaunt. Obwohl ich eh schon viel darüber wusste …

Doch es ist unglaublich faszinierend für mich, wie viele Menschen erklärtermaßen ihre Angst behalten wollen. Sie sehen sie als Schutz. Doch selbstverständlich ist sie dadurch ein enormes Machtmittel und nimmt den Schutz, anstatt ihn zu geben.

Und auch wir selbst sind selber nur allzugern bereit, dieses Machtmittel in unseren Beziehungen anzuwenden. Und viele erkennen gar nicht, dass sie es tun.

Natürlich ist ein Leben ohne Angst Hypothese. Aber umso mehr wir erkennen können, dass die Angst ein anerzogenes Konstrukt ist, desto besser können wir uns in vielen Bereichen davon befreien.

Das Kuriosum ist, dass den Menschen die Freiheit die allergrößte Angst bereitet. Was ja nichts anderes ist, als die Angst vor der Selbstverantwortung. Deshalb können wir uns auch nur selbst davon befreien. Niemand kann uns die Angst nehmen!

Angst ist ein beliebter Schulterschluss. Der Mensch sucht immer Verbündete. Und Angst bildet die größte Gruppe an Verbündeten. Aus diesem Grund lässt sie nur wenig Spielraum für eigene Entscheidungen zu.
Doch es gibt eine Entscheidung, die man immer selber treffen kann. Nämlich nach der Angst zu suchen und zu hinterfragen, woher sie kommt.

Ängste sind feig. Sie verschanzen sich oft hinter sogenannten Realängsten. Doch Realängste sind nur Kulissen. Man muss sie zur Seite schieben, um die wahren – leider anerzogenen – Ängste aufzuspüren. Das mögen die gar nicht, wenn sie erkannt werden. Sie möchten niemandem von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Eben weil sie feig sind. Und deshalb suchen sie dann rasch das Weite.
Wenn wir ihnen aber eine Bühne geben, dann werden sie immer hinter den Kulissen die Fäden ziehen und wir werden unter ihrer Regie auf dieser Bühne durch unser Leben taumeln.

Natürlich beschäftigt es mich, warum das so ist.

Für mich ist es ein Indiz dafür, dass wir einfach so erzogen sind. Über Generationen. Es wird auch nicht möglich sein, dies umzudrehen.

Die Angst gehört für die meisten von uns einfach zum Leben. Sie ist vertraut und wenn etwas Vertrautes wegbricht, dann erzeugt das Angst. Es ist also eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Wenn etwas Vertrautes wegbricht … das bedeutet Verlust, das bedeutet weniger Halt, das bedeutet oft plötzliche Sinnentleertheit.

Man weiß, dass es Menschen gibt, die von ihren Partnern unterdrückt, erniedrigt und gemartert werden. Und dennoch bricht für sie die Welt zusammen, wenn dieser Partner sie verlässt. Sie sind daran gewöhnt, sie kennen nichts anderes, was wird jetzt auf sie zukommen?

Kinder, die so aufwachsen, z.b. auch mit Alkoholikern, die suchen nur in sehr kleinem Ausmaß später Wege aus diesem Dilemma. Viele werden selbst zu Alkoholikern und prügeln ihre Kinder ihrerseits. Einfach, weil es für sie das Vertraute ist. Vielleicht nicht das richtig Erscheinende, aber das Vertraute. Da kennen sie sich aus, da wissen sie, wie es läuft.

Man kennt auch genügend Geschichten, wo es Menschen gibt, die sich hingebungsvoll bemühen, solche Leuten zu helfen. Doch die Anwender dieser Lebensrituale können es nicht annehmen, betrügen diese Menschen, oder wenden sich weiter dem Alkohol- oder Drogenkonsum zu.

Das alles liegt nur daran, dass ihnen ihre Lebensweise derart geläufig ist, dass ein Heraustreten daraus jenseits ihrer Vorstellungswelt ist. Eben nicht vertraut. Keinen Halt bietet, die Sinnhaftigkeit nicht erkennbar ist, weil sie es gewöhnt sind, alle diese negativen Aspekte in ihrem Leben irgendwie zu verarbeiten. Es gibt keine anderen Perspektiven. Sie können deshalb mit der „Freiheit“ nichts anfangen.

Und genauso ist es mit der Angst als Phänomen an sich. Den Menschen ist sie vertraut. Sie macht in ihren Augen Sinn, sie gibt Halt und bringt Verbündete. Man kann auch vieles an Verantwortung auf sie abschieben.

Aber tatsächliche Funktion hat sie in unserem Leben keine. Wenn es keine Angst gäbe, könnten wir alles mit Selbstverantwortung, Instinkt, Intuition und auch Respekt (z.b. vor Gefahren) genausogut bewältigen.

Erst die Ängste deklarieren bestimmte Menschengruppen zu Feinden. Gäbe es keine Angst, hätten wir keine Feinde. Es gibt nicht einen logischen Grund dafür, warum Menschen untereinander Feinde sein müssten. Nur in der Abarbeitung ihrer Ängste kommen entsprechende Verhaltensmuster zum Vorschein.

Da die Angst feig ist, macht sie auch die Ängstlichen feig, die plustern sich dann mit Machtmäntelchen auf. Je feiger, desto aufgebauschter die Röcke, breiter die Schulterpolster, länger die Ärmel. Was sie natürlich zur Gefahr für andere macht.
Doch unter diesen Machtmäntelchen möchten dann auch andere Ängstliche einfach Schutz suchen. Wollen die Macht der anderen für sich nutzen, weil sie schon für eigenes Machtstreben zu feig sind.

Und all das wird uns – wahrscheinlich seit Menschengedenken – mit der Muttermilch mitgeliefert. Es ist uns so vertraut, dass für den Einzelnen ein Leben ohne Angst unmöglich ist.

Und dennoch ist es möglich, aus diesem Kreislauf herauszutreten. Vielleicht nicht alle Ängste abzubauen oder aufzulösen, aber zumindest einige zu erkennen und sich von ihnen nicht die Augen verpicken zu lassen.
Jede einzelne Angst, die man auflösen kann, schafft höhere Lebensqualität. Und der nächste Schritt kann der erste in diese Richtung sein!

Wie gesagt, ich würde den Menschen gerne die Angst nehmen. Das geht nicht. Man kann einem anderen Ängste nicht nehmen. Aber man kann Perspektiven anbieten, damit sich der andere selbst befreit.

Und gelingts mir nur für einen, ist mein Wunsch erfüllt.

Fremde Nähe

 
Die Musikerin Mirjam Mikacs lud Autorinnen des Burgenlandes ein, für ihre neue CD  „Fremde Nähe – Stimmen zu Grenzen, Flucht und Krieg“ Texte beizusteuern. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich an diesem Projekt beteiligt sein darf.
Am 13. Oktober 2016 fand in der NN-Fabrik in Oslip die sehr berührende Präsentation statt.
 
filo1

Hier nun mein Beitragstext:
 
zufluchten

und dann kommt sie.
angst kriecht aus meinen zufluchten. krieg tritt in mein blickfeld. lächeln, wie geht das? zufriedenheit spüre ich als hohn. glück als naivität. freude erfriert an meinem gesicht.

und dann kommen sie.
aus den trümmern ihrer gegenwart. auf den nackten füßen der hoffnung. vorurteile fluten den menschenstrom. im schlamm der unbarmherzigkeit ertrinken ideale.

und dann sind sie da.
in den gehirnen hitzt die angst. die dürftigkeit der not lockt die notdurft der dummheit aus den ärschen des volkes. die unsicherheit bricht zacken aus der krone der menschlichkeit. wellen der unwissenheit stürzen als lüge und hatz über diffuse bedrohlichkeit. abwehr bläst zum angriff des pöbels. der überfluss regiert den wert.
mensch, wohin trägt dich die gier?

und dann sind sie da.
menschen erkennen menschen. nachbarn treten aus ihren schatten. springen über die zäune der feigheit in die pferche der ignoranz. reißen der oberflächlichkeit die masken vom gesicht. lichterketten zeigen den weg in eine kriegslose zukunft. schulter an schulter pflückt sich die blume der zuversicht leichter. hände öffnen sich zum geben. umarmungen legen sich um zitterndes erwachen. belohnung fällt aus augen. glück fällt aus gemeinsamkeit. angst kehrt sich zum mut.

und dann ist sie da.
leben ist entscheidung. nur dinge haben zwei seiten. eine lebenseinstellung ist kein ding. ich weiß mich zu entscheiden.

und dann bist du da.
du lächelst. wie geht’s? fragst du. und ich denke: mir geht es gut. aber wie geht es wohl dir? denn du kannst es mir nicht sagen. dein deutsch ist noch nicht gut genug dafür. doch du lächelst. mir freude ins gesicht.

 
© evelyne w.

lintschi liest