Hinter dem Krematorium führt eine Stiege zum dort aufgestellten Lagertor, das den Eingang in das Ensemble der Gedenkstätte „Tal des Todes“ markieren soll, die bereits ab 1946 errichtet wurde. Ich war den Weg von der anderen Seite gekommen …
Daneben befindet sich klar erkennbar die ehemalige Rampe für die Transportlore ins Krematorium. Auch sie jetzt eine angenehm grüne Grasnarbe, der Durchlass in der Mauer wurde zugebaut.
Oben angelangt, warf ich noch einen Blick zurück. Trotz der traurigen Erfahrungen, die ich gemacht hatte, fand ich immer noch, dass dies eine höchst gelungene und sehr harmonische Anlage war, die dem Gedenken Freiraum bot und deshalb einen großen Dienst erwies.
Weiter führte mein Weg nun vorbei an der Rückseite des idyllischen Ehrenfriedhofs. Wieder blieb ich stehen und versuchte, mich einzufühlen, nun doch wesentlich abgeklärter als zu dem Zeitpunkt, als ich auf der anderen Seite stand. Wieder breitete sich Ruhe in mir aus.
Diesmal war ich nicht mehr überrascht.
Ja, dachte ich, eigentlich klar. Hier ist ein Friedhof!
Ich gehe gerne auf Friedhöfe, der Name sagt es, es sind Stätten, von denen Frieden ausgeht, die Toten haben ihren Platz auf der Welt gefunden, die Erinnerungen werden gepflegt. Und auch hier wurde 5.500 Personen letzte Ruhe in Einzelgräbern gewährt, in diesem traumhaft schönen Park.
Nun erwartete mich die letzte Station auf dem Rundgang. Die Krankenbaracken und der Arrestbau.
Schon beim Anblick der beiden Pfeiler des ehemaligen Tores bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Doch vielleicht war es ja wieder nur die Erwartungshaltung, denn dahinter war noch keinerlei Bauwerk zu sehen. Eine einzelne Stufe führte auf einen Sockel, der innen begrünt schien.
Die frei gelegten Fundamente der Krankenbaracken zeigten, wie wenig Raum für die Kranken bereit stand, was die Tatsache noch einmal erhärtete, dass in diesen Baracken niemand gepflegt worden war, sondern hier gezielt getötet wurde, sei es durch absichtliche Vernachlässigung, Unterernährung, aber auch Giftspritzen sind überliefert.
Da ich nicht darauf vorbereitet gewesen war, hier nur Fundamente vorzufinden, war ich ein wenig durch diese Tatsache abgelenkt, doch das Grummeln in meinen Eingeweiden wurde dennoch ein wenig stärker.
An der Rückseite erhob sich ein kleines Gebäude. So hübsch weiß geputzt, freistehend und mit der geöffneten Mauer sah es ebenfalls beinahe harmlos aus.
Doch beim Näherkommen verstärkte sich seine Ausstrahlung enorm. Das bisschen Gras auf dem Hof konnte die Folterungen und Hinrichtungen auf diesem Platz noch nicht absorbieren …
Ich richtete mich wieder an meinem Atem auf und betrat den Bau. Im Inneren gab es nicht viel zu sehen. Die Zwischenmauern wurden abgerissen, nur ihre Fundamente waren auf dem Boden erkennbar. Die Sonne schien beim Fenster herein und das Grauen war nicht sichtbar. Aber für mich eindeutig noch immer spürbar. Mir wurde kalt und kälter …
Auf dem Hof in der direkten Sonne wurde es keineswegs besser. Der auftretende Schweiß legte sich wie eine eisige Haut über mich.
Vor der Gedenktafel für Dietrich Bonhoeffer und die „prominenten“ Gefangenen, die nicht in den „normalen“ Häftlingsbaracken untergebracht waren, sondern hier und dann noch knapp vor Kriegsende hingerichtet wurden, hielt ich wieder auf bewährte Art Zwiesprache.
Plötzlich merkte ich, dass ich diesmal mit mir selber sprach.
Ich will darüber schreiben, sagte ich, vielleicht kann ich damit ein paar Menschen erreichen.
Und wenn es nur einer ist … wenn jeder, der sich damit auseinandersetzt, auch nur einen einzigen ermuntern kann, einem damit weiterhelfen kann … würde die Welt bald anders aussehen …
Das ist etwas, das ich für euch tun kann, sprach ich nun doch wieder zu den Seelen dieser Stätte. Ich will versuchen, das Grauen aus eurem Andenken zu nehmen, den Leuten aufzuzeigen, wie man dieses Andenken in Liebe umwandeln kann, ihren Mut dafür zu stärken.
Ich lauschte in mich. Die Antwort lautete „Das gibt jedem Versuch Sinn!“ und in der Gewissheit, das mir einzig Mögliche tun zu wollen, ging ich wieder zurück.
Als ich von dieser Seite durch das Tor trat, fiel mein Blick auf die Siedlung, die gegenüber den Hang emporstieg.
An dieser Stelle waren früher die Baracken gewesen. Ein leises Schaudern erfasste mich. Ich würde auf diesem Hang nicht wohnen wollen, das wusste ich.
Und doch – auch hier galt: Die Vergangenheit musste endlich Ruhe finden können. Es musste neues Leben entstehen können. Und gaben nicht gerade diese Wohnhäuser ein starkes Zeichen dafür? Verbündeten sich die darin Wohnenden nicht auf eine selbstverständliche Weise mit den Menschen, die früher hier gewohnt hatten? Wie schrieb ich vorher schon? Man musste die Menschen, die hier lebten und starben, endlich als Menschen in Erinnerung behalten und nicht mehr als Opfer. Gehörte zu diesem Prozess nicht ebenfalls dazu, frühere Wohnstätten neu zu besiedeln?
Es gab wohl auch nicht viele Plätze auf der Welt, an denen noch kein Blut geflossen war. Da könnte man nirgends wohnen.
Und dennoch – für mich war es mir im Augenblick unvorstellbar.
Der Platz vor dem Arrestbau, auf dem früher ebenfalls Häftlingsbaracken standen, war wiederum eine große Grünfläche, die mir erneut die Weite bot, um meine Gedanken entlassen zu können. In ihrer Mitte befand sich ein Gedenkstein.
Seine Inschrift sprach auch mir aus dem Herzen …
*Ende des Rundgangs*
<<< Teil I – Ankunft
<<< Teil II – Der Appellplatz
<<< Teil III – Gedenkstätten
<<< Teil IV – Die Kapelle
<<< Teil V – Das Tal des Todes
Teil VII – Die Ausstellung >>>
Ich bedanke mich bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg für die Bereitstellung der historischen Fotos.