Booklet „Flossenbürg 2011“

Aus meinen Blogeinträgen wurde nun ein Booklet gemacht
Erschienen im hs-Literaturverlag. Geplante Veröffentlichung 1.Oktober 2011

flossenbuerg

hsl
70 Seiten
€ 7,50
ISBN 978-3951-99072-9

Klappentext:

Gedenken ist so wichtig.
Aber Gedenken ist nicht das Anprangern von Gräueltaten, das Zeigen von Bildern tiefster Not.
Nur wenn Gedenken zu Liebe führt, uns nicht in Angst und Entsetzen abwenden lässt, ist es gesund. Für den Einzelnen, wie auch für die Gesellschaft.

Wir wollen weder Täter noch Opfer sein.
Doch wer wollen wir sein?
Wenn wir diese Frage beantworten können, stärken wir auch unser Wollen. Dafür müssen wir uns der Vergangenheit liebend zuwenden, denn sie ist unsere Wurzel. Sie spricht zu uns, damit wir aus ihr lernen.
Doch so lange sie keine Liebe in uns auslöst, befinden wir uns nach wie vor in den Krallen des Grauens. Und Grauen kann niemanden davor beschützen, selber Täter oder Opfer zu werden.

Ein Gang durch die Gedenkstätte KZ Flossenbürg im Mai 2011 hat mir einen Ort gezeigt, an dem Gedenken in Liebe möglich ist.

 

Hierzu der Video-Trailer:

flossenbuerg trailer

 

 

Flossenbürg 2011 – V. Das Tal des Todes

Ich brauchte einige Augenblicke, als ich aus dem Dämmerlicht der Kapelle trat, um mich wieder in die Gegenwartsrealität einzufinden. Meine Sinne hatten sich für Erfahrungen geöffnet gehabt, die einige Kraft erforderten. Ich hielt mich am Geländer fest, das vor der Kapelle den Weg begrenzte.
Und blickte – in das „Tal des Todes“ … die extra angelegte eigentliche Gedenkstätte von Flossenbürg.

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Das Areal befindet sich bereits außerhalb des ehemaligen Lagers, was aber nicht heißt, dass dieses Gelände für den Lagerbetrieb nicht in Verwendung war.
Nicht ohne Grund hat dieser Platz seinen Namen.

Von meinem Standpunkt aus wirkte das am rechten hinteren Ende der Anlage befindliche Krematorium klein und unscheinbar. Einzig der schmale hohe Schlot winkte wie ein grausiger Knochenfinger.

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Die Rampe des Todes war von hier aus nur eine Schräge, die von der Mauer herabführte. Doch ich wusste, auf dieser Rampe wurde eine Transportlore zum außerhalb des Lagers liegenden Krematorium geführt. Als der Ofen die vielen Toten nicht mehr fasste, wurden die Leichen einfach im Freien verbrannt. In der Mitte des Platzes mahnte die Aschepyramide daran.

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Ich machte mich auf den Weg, die Stufen hinab. Auf der rechten Seite empfing mich ein Gedenkstein für die jüdischen Opfer. Ein Besucher hatte eine Rose abgelegt.

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Dann trat ich auf den Platz der Nationen, wo Grabplatten als Gedenktafeln für jede Nation angeordnet sind, die hier Opfer zu beklagen hat. Ich bedauerte, mich vorher nicht besser informiert zu haben. Gerne hätte ich ebenfalls Blumen auf den Grabstein meiner Landsleute gelegt.

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So legte ich Worte ab. Dankbare und bewundernde.
Ich möchte mir euch gerne als Vorbild nehmen, sagte ich. Auch für meine, neben euren Erlebnissen so klein wirkenden Situationen. So viel Mut, soviel Kraft und Stärke habt ihr bewiesen. Ihr habt der Welt viel gegeben. Das kann nicht jeder von sich sagen. Ihr habt mir gezeigt, worauf es wirklich im Leben ankommt.
Langsam ging ich weiter, blieb noch bei so manchem Grabstein stehen, um meine Worte zu wiederholen.

Plötzlich wurde der Boden unter meinen Füßen wieder unsicher. Irritiert blieb ich stehen. Ist hier sumpfiges Gelände?, dachte ich.
Doch das schwammige Gefühl verteilte sich von meinem Bauch aus. Er fühlte sich an wie Gelee und nach oben hin wurde die Luft merklich dünner. Ich hielt den Atem an und zog die Schultern ein, meine Schritte wurden schleichend, ich setzte sie konzentriert und mit auf den Boden gerichteten Augen.

Als ich den Blick endlich hob, stand ich an der Vorderseite der Aschepyramide.

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Sofort schloss ich die Augen wieder. Ganz tief senkte ich mich in mein Gefühl hinab.
Jetzt nur nicht davonlaufen, dachte ich immer wieder. Du willst hier durch und nicht daneben vorbei!
Wenigstens so viel Mut musste ich doch aufbringen können. Ich war ein freier Mensch. Und vor meinen Gefühlen ängstigte ich mich schon lange nicht mehr. Dachte ich zumindest bisher…

Doch – Ich stand auf dem Hinrichtungsplatz! Blut stieg in meine Beine, ich spürte es deutlich.

Wieder versuchte ich, meinen Atem zu befreien, der meinen Hals zusammenpresste.
Einatmen, ausatmen – einatmen, ausatmen! Mein eigener Befehl für solche Situationen. In den Bauch einatmen! Und beim Ausamten aufrichten!
Ich stand auf dem Hinrichtungsplatz und machte gezielt meine Atemübungen. Das hatte mir schon in so vielen Situationen geholfen …

Und auch hier. Ich spürte, wie das Blut nicht mehr in den Beinen zu stocken drohte. Mein Körper belebte sich spürbar. Es war MEIN Blut, das wieder durch mich strömte. Das Blut aus dem Boden hatte sich damit vermengt. Und es war nicht der Tod, den ich spürte, sondern das Leben.

Hier ist offensichtlich noch zu wenig Gras gewachsen, dachte ich. Vielleicht konnte an solchen Plätzen auch gar niemals genug Gras wachsen, wo so gezielt entmenschlicht gehandelt wurde.

Ich drehte mich um und stieg mit festen Schritten zum Krematorium hinauf.
Viel Atem benötigte ich, um den Ofen wirklich ansehen zu können.

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Und auch der steinerne Seziertisch forderte mich und meine sensitive Wahrnehmung stark heraus.

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Hier half mir ebenfalls nur meine Besinnung auf das, was ich spürte. Ich musste das Denken ausschalten, dann konnte die Liebe in mir hochsteigen, das wusste ich. Es war nicht leicht, aber es gelang. Langsam senkte sich Traurigkeit über mich und verdrängte die Angst. Und Traurigkeit ist ein warmes Gefühl, das Tränen verwendet, um die Seele auszuspülen.
Ich ließ meine Tränen hier zurück, als Gabe für die Seelen, die in diesen Räumen noch nicht zur Ruhe gekommen waren.

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<<< Teil I – Ankunft
<<< Teil II – Der Appellplatz
<<< Teil III – Gedenkstätten
<<< Teil IV – Die Kapelle
Teil VI – Ende des Rundgangs >>>

Flossenbürg 2011 – VI. Ende des Rundgangs

Hinter dem Krematorium führt eine Stiege zum dort aufgestellten Lagertor, das den Eingang in das Ensemble der Gedenkstätte „Tal des Todes“ markieren soll, die bereits ab 1946 errichtet wurde. Ich war den Weg von der anderen Seite gekommen …
Daneben befindet sich klar erkennbar die ehemalige Rampe für die Transportlore ins Krematorium. Auch sie jetzt eine angenehm grüne Grasnarbe, der Durchlass in der Mauer wurde zugebaut.

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Oben angelangt, warf ich noch einen Blick zurück. Trotz der traurigen Erfahrungen, die ich gemacht hatte, fand ich immer noch, dass dies eine höchst gelungene und sehr harmonische Anlage war, die dem Gedenken Freiraum bot und deshalb einen großen Dienst erwies.

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Weiter führte mein Weg nun vorbei an der Rückseite des idyllischen Ehrenfriedhofs. Wieder blieb ich stehen und versuchte, mich einzufühlen, nun doch wesentlich abgeklärter als zu dem Zeitpunkt, als ich auf der anderen Seite stand. Wieder breitete sich Ruhe in mir aus.
Diesmal war ich nicht mehr überrascht.
Ja, dachte ich, eigentlich klar. Hier ist ein Friedhof!
Ich gehe gerne auf Friedhöfe, der Name sagt es, es sind Stätten, von denen Frieden ausgeht, die Toten haben ihren Platz auf der Welt gefunden, die Erinnerungen werden gepflegt. Und auch hier wurde 5.500 Personen letzte Ruhe in Einzelgräbern gewährt, in diesem traumhaft schönen Park.

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Nun erwartete mich die letzte Station auf dem Rundgang. Die Krankenbaracken und der Arrestbau.
Schon beim Anblick der beiden Pfeiler des ehemaligen Tores bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Doch vielleicht war es ja wieder nur die Erwartungshaltung, denn dahinter war noch keinerlei Bauwerk zu sehen. Eine einzelne Stufe führte auf einen Sockel, der innen begrünt schien.

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Die frei gelegten Fundamente der Krankenbaracken zeigten, wie wenig Raum für die Kranken bereit stand, was die Tatsache noch einmal erhärtete, dass in diesen Baracken niemand gepflegt worden war, sondern hier gezielt getötet wurde, sei es durch absichtliche Vernachlässigung, Unterernährung, aber auch Giftspritzen sind überliefert.

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Da ich nicht darauf vorbereitet gewesen war, hier nur Fundamente vorzufinden, war ich ein wenig durch diese Tatsache abgelenkt, doch das Grummeln in meinen Eingeweiden wurde dennoch ein wenig stärker.

An der Rückseite erhob sich ein kleines Gebäude. So hübsch weiß geputzt, freistehend und mit der geöffneten Mauer sah es ebenfalls beinahe harmlos aus.

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Doch beim Näherkommen verstärkte sich seine Ausstrahlung enorm. Das bisschen Gras auf dem Hof konnte die Folterungen und Hinrichtungen auf diesem Platz noch nicht absorbieren …

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Ich richtete mich wieder an meinem Atem auf und betrat den Bau. Im Inneren gab es nicht viel zu sehen. Die Zwischenmauern wurden abgerissen, nur ihre Fundamente waren auf dem Boden erkennbar. Die Sonne schien beim Fenster herein und das Grauen war nicht sichtbar. Aber für mich eindeutig noch immer spürbar. Mir wurde kalt und kälter …

Auf dem Hof in der direkten Sonne wurde es keineswegs besser. Der auftretende Schweiß legte sich wie eine eisige Haut über mich.

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Vor der Gedenktafel für Dietrich Bonhoeffer und die „prominenten“ Gefangenen, die nicht in den „normalen“ Häftlingsbaracken untergebracht waren, sondern hier und dann noch knapp vor Kriegsende hingerichtet wurden, hielt ich wieder auf bewährte Art Zwiesprache.
Plötzlich merkte ich, dass ich diesmal mit mir selber sprach.

Ich will darüber schreiben, sagte ich, vielleicht kann ich damit ein paar Menschen erreichen.
Und wenn es nur einer ist … wenn jeder, der sich damit auseinandersetzt, auch nur einen einzigen ermuntern kann, einem damit weiterhelfen kann … würde die Welt bald anders aussehen …
Das ist etwas, das ich für euch tun kann, sprach ich nun doch wieder zu den Seelen dieser Stätte. Ich will versuchen, das Grauen aus eurem Andenken zu nehmen, den Leuten aufzuzeigen, wie man dieses Andenken in Liebe umwandeln kann, ihren Mut dafür zu stärken.
Ich lauschte in mich. Die Antwort lautete „Das gibt jedem Versuch Sinn!“ und in der Gewissheit, das mir einzig Mögliche tun zu wollen, ging ich wieder zurück.

Als ich von dieser Seite durch das Tor trat, fiel mein Blick auf die Siedlung, die gegenüber den Hang emporstieg.

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An dieser Stelle waren früher die Baracken gewesen. Ein leises Schaudern erfasste mich. Ich würde auf diesem Hang nicht wohnen wollen, das wusste ich.

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Und doch – auch hier galt: Die Vergangenheit musste endlich Ruhe finden können. Es musste neues Leben entstehen können. Und gaben nicht gerade diese Wohnhäuser ein starkes Zeichen dafür? Verbündeten sich die darin Wohnenden nicht auf eine selbstverständliche Weise mit den Menschen, die früher hier gewohnt hatten? Wie schrieb ich vorher schon? Man musste die Menschen, die hier lebten und starben, endlich als Menschen in Erinnerung behalten und nicht mehr als Opfer. Gehörte zu diesem Prozess nicht ebenfalls dazu, frühere Wohnstätten neu zu besiedeln?
Es gab wohl auch nicht viele Plätze auf der Welt, an denen noch kein Blut geflossen war. Da könnte man nirgends wohnen.
Und dennoch – für mich war es mir im Augenblick unvorstellbar.

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Der Platz vor dem Arrestbau, auf dem früher ebenfalls Häftlingsbaracken standen, war wiederum eine große Grünfläche, die mir erneut die Weite bot, um meine Gedanken entlassen zu können. In ihrer Mitte befand sich ein Gedenkstein.

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Seine Inschrift sprach auch mir aus dem Herzen …

*Ende des Rundgangs*

<<< Teil I – Ankunft
<<< Teil II – Der Appellplatz
<<< Teil III – Gedenkstätten
<<< Teil IV – Die Kapelle
<<< Teil V – Das Tal des Todes
Teil VII – Die Ausstellung >>>

Ich bedanke mich bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg für die Bereitstellung der historischen Fotos.