Vom langen Leben

 

Vom langen Leben

Selbstverständlich mache ich mir auch abseits von lyrischen oder Prosatexten Gedanken über die Demenz.

Lang leben wollen wir alle, aber nicht alt werden!

Es ist noch nicht so lange her, da zog sich die Demenz noch nicht in so großem Aufkommen durch unsere Gesellschaft. Die Menschen wurden einerseits nicht so alt und andererseits waren auch die gesellschaftlichen Strukturen ganz andere. Alte Menschen lebten viel mehr in ihrem Familienverbund. Von dieser Position aus wurde die Demenz nicht so offenkundig. Und vielleicht gingen die Angehörigen damals mit ihr auch geduldiger, bzw. selbstverständlicher um. Die Individualität des Einzelnen hatte noch einen größeren Stellenwert in der zwischenmenschlichen Kommunikation.

Ich habe schon seinerzeit in meinem Buch „Lerne.Selbst.Lieben“ die verhängnisvollen Zusammenhänge der propagierten Ewige-Jugend-Gesellschaft aufgezeigt. Wir Menschen in der westlichen Welt werden als Wirtschaftsfaktor be- und gehandelt. Und haben deshalb ganz andere spezifische Probleme als z.B. die Menschen in der Dritten Welt.
Der Werbeslogan „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ ist bezeichnend für die Richtung aus der unsere Individualität über das kollektive Unbewusste gesteuert wird.

Demente Menschen sind kein Wirtschaftsfaktor. Man kann ihnen nichts mehr verkaufen!
Deshalb werden sie zu einer besonderen Randgruppe. Zu einer, die in der Öffentlichkeit keinerlei Rolle mehr spielt. Es gibt keine Werbung, keine Filme, keine Lobby, sie leben jenseits der Scheinwerfer und haben deshalb in der öffentlichen Meinung ebenfalls keinen „Wertfaktor“.

Das größte Geschäft ist mit der Angst zu machen!
Menschen in Angst zu halten, dass sie nicht dazu gehören (wozu auch immer) ist die wirksamste Methode, sie zu Konsum zu nötigen.
Und am besten eignet sich etwas, das im Prinzip nicht erreicht werden kann. Ewige Jugend z.B.
Diese ist ein unerschöpflicher Born für Konsumzwang.

Sämtlichem Anflug von Alterserscheinungen werden riesige Geschäftszweige gegenübergestellt.
Ein unendliches Ersatzteillager an Körperersatz- oder Aufmotzteilen versucht dem Menschen vorzutäuschen, dass er sich vom Alterungsvorgang freikaufen kann.

Nun kann man aber den Alterungsprozessen des Körpers sozusagen mechanisch noch einiges entgegensetzen. Gegen die geistigen alterungsadäquaten Verfallserscheinungen jedoch gibt es keine Ersatzteile. Obwohl die gigantische Pharmaindustrie uns auch hier in den Konsumzwang gaukelt.

Es ist den meisten Menschen klar, dass im Alter die Haare grau werden, dass man die Zähne verliert, dass die Haut Falten bekommt und die Muskeln schlaffer werden. Dass auch manche Organe nicht mehr so klaglos arbeiten, sich die körperlichen Bedürfnisse ändern.
Doch dass die geistige Leistung ebenfalls einem Alterungsprozess ausgesetzt ist und sich auch die geistigen Bedürfnisse ändern, das wollen Viele nicht wahrnehmen. Es wird versucht, die natürliche Alterung bereits in eine Krankheit umzuwandeln.

Alter wird von uns heute sofort gleichgestellt mit Krankheit und/oder Demenz.
Und beides passt natürlich in kein Zeitgeistkleid.

Selbstverständlich ist es noch ein gewaltiger Unterschied von der altersbedingten Vergesslichkeit zur Demenzerkrankung.
Aber durch diese krampfhaften Verschleierungsversuche der eher harmlosen Alterserscheinung gelangen wir dynamisch in den Sog, mit der Demenz nicht umgehen zu können. Weil wir nie lernen, uns auf altersentsprechende Situationen einzulassen, ihre positiven Seiten für uns zu entdecken.

Der Fortschritt brachte uns auch eine durchschnittlich längere Lebenszeit.
Der Alterungsprozess bekommt deshalb auch andere Dimensionen. Wir können uns wohl länger an Jahren „jung“ erhalten, aber auch die Jahre des Alters haben sich vermehrt. Deshalb treten die altersbedingten Erscheinungen selbstverständlich auch langfristiger auf und sind durch die zunehmende Zahl länger lebender Menschen vermehrt präsent.

Und unser Gemeinschaftsleben hat sich ebenfalls enorm gewandelt. Bei uns ist es heute fast nicht mehr möglich, die Familien über Generationen zusammen zu halten.
Wir leben in einer ganz anderen Gesellschaftsstruktur. Kleine Familienzellen in Zwei- oder Dreizimmerwohnungen. Frauen und Männer berufstätig. Oder kosmopolitsch aufgeteilt.

Bei uns ist es wichtig, dass es Pflegeeinrichtungen gibt.
Weil man einige Personen eines Haushalt oft nicht unbeaufsichtigt lassen kann. Seien es Kinder, aber oft auch die alten Menschen.

Es wäre ja auch besser, wenn die Kinder im Familienverbund aufwüchsen und nicht im Kindergarten und in der Ganztagsschule erzogen würden.
Aber heute gibt es schon ein Pflichtkindergartenalter! Weil die Kinder in den Wirtschaftsprozess eingegliedert werden müssen.

Also kommen die Kinder aus dem Haus und die Alten auch.

Aber für die Kinder gibt es Programme – denn die haben „Wert“ -, für die demenzkranken Alten nicht. Die Alten sind nur als „graue Panther“ etwas wert, weil da sind sie ein Wirtschaftsfaktor, da kann man ihnen Jugendwahn verkaufen.

Aber – was will man einem demenzkranken alten Menschen verkaufen?

Ihn erreicht keine Werbung, kein Meinungsbilder, kein Zeitgeistflüsterer.
Eigentlich ein paradiesischer Zustand …

 

2 Gedanken zu „Vom langen Leben“

  1. du legst da den Finger in eine Wunde, die uns alle betrifft bzw. irgendwann betreffen kann

    ältere und alte Menschen sind so lange interessant, wie sie finanziell von Nutzen sind
    die momentane Rentnergeneration bei uns hat eine große Kaufkraft und wird umworben
    aber wehe, sie stehen der Wirtschaft nicht mehr „zur Verfügung“ …
    die ständige Forderung nach Wachstum – immer höher, immer weiter, immer mehr – ist es, die uns und die Welt kaputt macht

    ich glaube, das erkennen die Menschen nach und nach; und es gibt eine wachsende Zahl, die sich diesem Wettlauf entzieht (zumindest teilweise)

    vielleicht gibt es ja im Laufe der Zeit ein Umdenken – und das würde nicht nur den alten Menschen zugute kommen

    1. wenn man zurückdenkt, früher waren die alten die „weisen“, sie hatten die erfahrung und diese wurde geschätzt.
      heute gibt es keine weisen mehr. weder alte noch junge.
      wertschätzung gibt es nur für materielle werte.

      das problem ist natürlich auch, dass es heute andere standards gibt. und diese sind gewachsen. und ein zurück? nun, ich weiß nicht …
      wenn nun noch mehr gespart werden muss, woran wird denn gespart werden? an dem, wo etwas verschwendet erscheint 🙁

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