Flossenbürg 2011 – VI. Ende des Rundgangs

Hinter dem Krematorium führt eine Stiege zum dort aufgestellten Lagertor, das den Eingang in das Ensemble der Gedenkstätte „Tal des Todes“ markieren soll, die bereits ab 1946 errichtet wurde. Ich war den Weg von der anderen Seite gekommen …
Daneben befindet sich klar erkennbar die ehemalige Rampe für die Transportlore ins Krematorium. Auch sie jetzt eine angenehm grüne Grasnarbe, der Durchlass in der Mauer wurde zugebaut.

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Oben angelangt, warf ich noch einen Blick zurück. Trotz der traurigen Erfahrungen, die ich gemacht hatte, fand ich immer noch, dass dies eine höchst gelungene und sehr harmonische Anlage war, die dem Gedenken Freiraum bot und deshalb einen großen Dienst erwies.

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Weiter führte mein Weg nun vorbei an der Rückseite des idyllischen Ehrenfriedhofs. Wieder blieb ich stehen und versuchte, mich einzufühlen, nun doch wesentlich abgeklärter als zu dem Zeitpunkt, als ich auf der anderen Seite stand. Wieder breitete sich Ruhe in mir aus.
Diesmal war ich nicht mehr überrascht.
Ja, dachte ich, eigentlich klar. Hier ist ein Friedhof!
Ich gehe gerne auf Friedhöfe, der Name sagt es, es sind Stätten, von denen Frieden ausgeht, die Toten haben ihren Platz auf der Welt gefunden, die Erinnerungen werden gepflegt. Und auch hier wurde 5.500 Personen letzte Ruhe in Einzelgräbern gewährt, in diesem traumhaft schönen Park.

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Nun erwartete mich die letzte Station auf dem Rundgang. Die Krankenbaracken und der Arrestbau.
Schon beim Anblick der beiden Pfeiler des ehemaligen Tores bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Doch vielleicht war es ja wieder nur die Erwartungshaltung, denn dahinter war noch keinerlei Bauwerk zu sehen. Eine einzelne Stufe führte auf einen Sockel, der innen begrünt schien.

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Die frei gelegten Fundamente der Krankenbaracken zeigten, wie wenig Raum für die Kranken bereit stand, was die Tatsache noch einmal erhärtete, dass in diesen Baracken niemand gepflegt worden war, sondern hier gezielt getötet wurde, sei es durch absichtliche Vernachlässigung, Unterernährung, aber auch Giftspritzen sind überliefert.

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Da ich nicht darauf vorbereitet gewesen war, hier nur Fundamente vorzufinden, war ich ein wenig durch diese Tatsache abgelenkt, doch das Grummeln in meinen Eingeweiden wurde dennoch ein wenig stärker.

An der Rückseite erhob sich ein kleines Gebäude. So hübsch weiß geputzt, freistehend und mit der geöffneten Mauer sah es ebenfalls beinahe harmlos aus.

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Doch beim Näherkommen verstärkte sich seine Ausstrahlung enorm. Das bisschen Gras auf dem Hof konnte die Folterungen und Hinrichtungen auf diesem Platz noch nicht absorbieren …

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Ich richtete mich wieder an meinem Atem auf und betrat den Bau. Im Inneren gab es nicht viel zu sehen. Die Zwischenmauern wurden abgerissen, nur ihre Fundamente waren auf dem Boden erkennbar. Die Sonne schien beim Fenster herein und das Grauen war nicht sichtbar. Aber für mich eindeutig noch immer spürbar. Mir wurde kalt und kälter …

Auf dem Hof in der direkten Sonne wurde es keineswegs besser. Der auftretende Schweiß legte sich wie eine eisige Haut über mich.

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Vor der Gedenktafel für Dietrich Bonhoeffer und die „prominenten“ Gefangenen, die nicht in den „normalen“ Häftlingsbaracken untergebracht waren, sondern hier und dann noch knapp vor Kriegsende hingerichtet wurden, hielt ich wieder auf bewährte Art Zwiesprache.
Plötzlich merkte ich, dass ich diesmal mit mir selber sprach.

Ich will darüber schreiben, sagte ich, vielleicht kann ich damit ein paar Menschen erreichen.
Und wenn es nur einer ist … wenn jeder, der sich damit auseinandersetzt, auch nur einen einzigen ermuntern kann, einem damit weiterhelfen kann … würde die Welt bald anders aussehen …
Das ist etwas, das ich für euch tun kann, sprach ich nun doch wieder zu den Seelen dieser Stätte. Ich will versuchen, das Grauen aus eurem Andenken zu nehmen, den Leuten aufzuzeigen, wie man dieses Andenken in Liebe umwandeln kann, ihren Mut dafür zu stärken.
Ich lauschte in mich. Die Antwort lautete „Das gibt jedem Versuch Sinn!“ und in der Gewissheit, das mir einzig Mögliche tun zu wollen, ging ich wieder zurück.

Als ich von dieser Seite durch das Tor trat, fiel mein Blick auf die Siedlung, die gegenüber den Hang emporstieg.

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An dieser Stelle waren früher die Baracken gewesen. Ein leises Schaudern erfasste mich. Ich würde auf diesem Hang nicht wohnen wollen, das wusste ich.

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Und doch – auch hier galt: Die Vergangenheit musste endlich Ruhe finden können. Es musste neues Leben entstehen können. Und gaben nicht gerade diese Wohnhäuser ein starkes Zeichen dafür? Verbündeten sich die darin Wohnenden nicht auf eine selbstverständliche Weise mit den Menschen, die früher hier gewohnt hatten? Wie schrieb ich vorher schon? Man musste die Menschen, die hier lebten und starben, endlich als Menschen in Erinnerung behalten und nicht mehr als Opfer. Gehörte zu diesem Prozess nicht ebenfalls dazu, frühere Wohnstätten neu zu besiedeln?
Es gab wohl auch nicht viele Plätze auf der Welt, an denen noch kein Blut geflossen war. Da könnte man nirgends wohnen.
Und dennoch – für mich war es mir im Augenblick unvorstellbar.

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Der Platz vor dem Arrestbau, auf dem früher ebenfalls Häftlingsbaracken standen, war wiederum eine große Grünfläche, die mir erneut die Weite bot, um meine Gedanken entlassen zu können. In ihrer Mitte befand sich ein Gedenkstein.

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Seine Inschrift sprach auch mir aus dem Herzen …

*Ende des Rundgangs*

<<< Teil I – Ankunft
<<< Teil II – Der Appellplatz
<<< Teil III – Gedenkstätten
<<< Teil IV – Die Kapelle
<<< Teil V – Das Tal des Todes
Teil VII – Die Ausstellung >>>

Ich bedanke mich bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg für die Bereitstellung der historischen Fotos.

Flossenbürg 2011 – VII. Die Ausstellung

In der ehemaligen Wäscherei, einem der weißen Gebäude, die den Appellplatz begrenzen, wurde eine Dauerausstellung eingerichtet: „Das Konzentrationslager Flossenbürg 1938 – 1945“.

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Die Ausstellung ist strukturiert und widmet sich einesteils der geschichtlichen Entwicklung des Lagers, von der Gründung bis zur Befreiung. Der zweite Teil ist den Häftlingen gewidmet.

Es fällt schwer, in diesem thematischen Zusammenhang von einer „gelungenen“ Ausstellung zu sprechen. Und doch möchte ich es tun.

Die Darstellung des historischen Hintergrunds lässt einen eher fassungslos vor der Entwicklung stehen. Und doch – sofort musste ich daran denken, wie sorglos so viele Menschen auch der gegenwärtigen Entwicklung gegenüberstehen. Dass auch heute Fremdenhass und Ausbeutung vornehmlich fremder Menschengruppen einen Schulterschluss erzeugen, vor dem vielleicht in 50-60 Jahren unsere Nachfahren ebenso fassungslos stehen werden.

Doch den Teil der Ausstellung, der den Häftlingen gewidmet ist, möchte ich, trotz der großen emotionalen Belastung, die er in mir auslöste, in seiner anrührenden, sensiblen Zusammenstellung besonders anerkennend erwähnen.
Ich möchte hier nicht noch einmal einen Bericht beginnen, aber sehr gerne auf die von Häftlingen in Flossenbürg gemalten Bilder verlinken. Mein Mann ist Maler und in unserem Umfeld wird deshalb immer wieder über Kunst diskutiert, die ja bekanntlich ein weites Feld ist und meistens im Auge des Betrachters liegt. Aber die selbstüberschätzende Anmaßung so mancher Kritzler oder Schmierer, die ihre Werke für teures Geld anbieten, bekommt hier eine echte Dimension vorgesetzt:

Ausstellung »ERINNERUNG« – Virtueller Ausstellungskatalog der Arbeitsgemeinschaft ehemaliges KZ Flossenbürg e.V.

Diese virtuelle Ausstellung ist ein Internet-Projekt und kein Bestandteil der Ausstellung in der Gedenkstätte. Hier sind auch viele Bilder enthalten, die erst nach der Gefangenschaft gemalt wurden.
Doch es gibt auch Bilder, die vor Ort unter lebensgefährlichen Bedingungen entstanden sind. Auf Papierfetzchen, mit einem verbotenen Bleistift, z.B. oder in Holz geritzt …
Diese Bilder haben mich wohl am meisten berührt von allem, was ich dort gesehen habe.
Ich bin jemand, der für die Übertragung von Gefühl zu Gefühl (ohne Umweg über das Hirn) nur 3 Möglichkeiten sieht: Musik, Lyrik und gemalte oder gezeichnete Bilder. In diese Werke wird Gefühl direkt eingebracht und steigt deshalb als solches über die Sinne auf.

Auch ich konnte meinen Gesamteindruck nur in einem Prosalyriktext ausdrücken.

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Darüber nachdenken und zu einem Text verarbeiten konnte ich das alles erst jetzt, einige Wochen später …

Ich danke jedem einzelnen meiner Leser, der mir gefolgt ist und wünsche uns allen, dass wir aus dieser Vergangenheit so viel lernen können, dass wir in eine liebevolle, menschenwürdige Zukunft gehen können.

<<< Teil I – Ankunft
<<< Teil II – Der Appellplatz
<<< Teil III – Gedenkstätten
<<< Teil IV – Die Kapelle
<<< Teil V – Das Tal des Todes
<<< Teil VI – Ende des Rundgangs

Besonderer Dank geht an die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg für die Bereitstellung der Fotos von der Ausstellung.

entmenschlicht

shoa_nummer

entmenschlicht

namensberaubt
abrasiert die identität
kein haar mehr
unterscheidet dich

der kopf ist kahl
die achsel leer

und dein geschlecht
so nackt
wie sie gern
deine seele hätten

die du nicht blößt
weil du sie unter
der nummer trägst
zu der sie dich
hier stempeln wollten

entmenschlicht?
wer?
niemals die opfer!

© evelyne w.

Die Leichtigkeit des Seins

Die Leichtigkeit des Seins
Wünsch ich mir
Zu erlernen

Doch liegt im Erlernen
Bereits das Entfernen
Von der Leichtigkeit

Mein Selbst-Sein
Zu erlernen
Dabei von Anderen
Mich nicht entfernen
Ist keine Leichtigkeit

Was bleibt
Ist meine Sehnsucht

Nach Uns
Oder
Der Leichtigkeit des Seins

© by evelyne w.

Die Wichtigkeit des Seins

Ich glaube, dass wir Menschen dazu neigen, unseren Mittelpunkt zu verschieben. Wir richten unsere Wichtigkeit nicht nach uns aus, sondern nach der Wichtigkeit, die wir für andere haben möchten. Das kann nicht gut gehen. Das ist ein Prinzip, das in sich schon zum Scheitern verurteilt ist. Ich möchte gar nicht auf die Gründe eingehen, warum das so ist, dass Erziehung und Kollektivität uns dahin drängen. Ich möchte mich mehr mit der Gratwanderung der Wichtigkeit des Seins beschäftigen.

Die Wichtigkeit des Seins kann für mich lediglich aus der Selbstliebe erwachsen. Sie kann, wie der Prozess des Liebens an sich, nicht von außen gebracht werden.
Menschen, die ihre Wichtigkeit an ihren Erfolgen ablesen wollen, geben ihre Wichtigkeit aus der Hand.

Im Leben eines Menschen hat die Kommunikation einen unentbehrlichen Stellenwert. Gesundes interaktives Verhalten ist ein Grundbedürfnis für die Seele des Menschen. Doch genau dort liegen die Stolpersteine und Fußangeln. Wir Menschen glauben, Interaktion funktioniert am besten, wenn wir uns an den Reaktionen der anderen orientieren. Doch das kann so nicht sein. Ein Mensch, der sich an anderen ausrichtet, befindet sich logischerweise nicht in seinem Mittelpunkt, sondern wankt wie ein Schilfrohr im Wind zwischen den erwarteten Anforderungen der anderen hin und her.
Und auch die Wichtigkeit seines Seins hat dadurch kein gefestigtes Standbein.

Überlegen wir wieder einmal prinzipiell.
Welcher Mensch kann ohne uns nicht existieren? Das sind doch eindeutig nur wir selber. Also haben wir für uns Priorität.
Ohne welchen Menschen können wir nicht existieren? Auch hier: unsere Existenz ist nur von unserem eigenen Dasein abhängig.

Die Qualität dieser Existenz mag von anderen Menschen mitbestimmt werden, jedoch ist mit Sicherheit auf den kleinen Zusatz „mit“ zu achten. So schmerzhaft Verluste sein mögen, der Mensch ist dafür ausgerüstet, sie zu überleben! Auch logisch: wäre unsere Existenz an die Existenz bestimmter Personen gebunden, gäbe es schon lange keine Menschen mehr, weil bei jedem Todesfall ganze Menschenketten aufhören müssten, zu existieren.

Was können wir daraus für uns ableiten?
Dass unsere Existenz von uns selber sorgfältigst gepflegt werden muss.
Wenn wir aber nun davon ausgehen, dass zu dieser sorgfältigen Pflege gehört, dass uns andere die Füße küssen, dann kann dieses Prinzip auch wieder nicht funktionieren. Denn diese müssen ja ebenfalls vorrangig ihre eigene Existenz pflegen.

Erzieht uns dieses Prinzip nun zu Egoisten? Ja, das tut es! Und das ist gut so. Denn Egoismus ist eine gesunde Einstellung zum eigenen Sein und die Grundlage für die Wichtigkeit des Seins.
Doch dürfen wir Egoismus nicht mit Egozentrik verwechseln.
Egozentrisch ist ebenso nicht in der Mitte, wie das Schwanken zwischen den Reaktionen!

Aber was heißt egozentrisch?

In unserem eigenen Bedürfnispool spielt die Gemeinschaft eine große Rolle. Wohl die zweitgrößte, denn logischerweise gibt es ohne unsere eigene Existenz ja auch keine Gemeinschaft für uns. Aber ohne Gemeinschaft ist der Mensch nur ein Samenkorn in der Wüste. Die Qualität der Existenz eines einzigen Menschen ohne jegliche Gemeinschaft ist absolut nullwertig. Auch für ihn selbst.
Was, wie schon oben erwähnt bedeutet, der Mensch benötigt Interaktion. Und am besten liebevolle.

Diese kann er aber nur pflegen, wenn er selbstliebend in seiner Mitte ruht und von dort ausgehend liebend agiert und reagiert.

Wenn er nun diesen Ausgangspunkt verschiebt, indem er alles was von außen kommt auf sich zentriert, anstatt seine Wichtigkeit für sich selbst in das Zentrum zu stellen und von dort weg zu agieren, dann ist er egozentrisch unterwegs. Und selbstverständlich von Reaktionen abhängig.

Das heißt, dass der Mensch um sich selbst etwas Gutes tun zu wollen, auch sorgfältig auf sein Umfeld achten muss, also auch darauf, dass es bei seinen Handlungen nicht nur ihm selbst, sondern auch den anderen gut geht. Für seine Gemeinschaft handelt und nicht gegen sie. Das ist Egoismus!

Und wir sehen sofort den Unterschied zur Egozentrik: Dort glaubt der Mensch, dass er nur sich selber etwas Gutes tun kann oder gar, dass andere es für ihn tun müssen.

Geben und Nehmen ist die funktionelle Grundlage der Gemeinschaft. Aber was geben und was nehmen? Darauf kommt es an.
Dort liegt der schmale Grat zwischen Egoismus und Egozentrik.

Wir geben, wenn wir unsere Existenz wertfrei präsentieren. Wir nehmen, wenn wir das was andere geben, ebenso wertfrei akzeptieren.
Aber wir geben dann nicht, wenn wir etwas hinausgeben, um Reaktion zu erhalten und wir nehmen nicht, wenn wir das, was andere geben, dahingehend sortieren, ob es unsere Wichtigkeit erhöht.

Klingt doch simpel. Ist es aber, wie wir alle wissen, leider nicht.
Zu viel stürmt auf den Menschen im Laufe seiner Entwicklung ein. Erziehung und kollektives Unbewusstes bringen ihn auf den Weg, der von Machtgefügen und wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt ist.

Die Wichtigkeit des Seins wird nicht mehr am moralischen Wert gemessen, sondern am ökonomischen.

Da dies die Mehrheit der Menschen so macht, bekommt dieses Prinzip einen gewisse Wahrheitsallmacht. Und wir Menschen geben uns selbst nicht mehr Wert als … ja, dem Schilf im Wind …

Die Zauberflöte – Wiener Staatsoper, 15.6.2011

Die Zauberflöte – Wiener Staatsoper, 15.6.2011

Schon lange habe ich mich auf diese Aufführung gefreut. Ich bin ein erklärter Mozart-Fan, wenn auch nicht DIE große Opernliebhaberin. Aber die Arien der Zauberflöte begleiten mich schon viele Jahre. Allerdings in den grandiosen Aufnahmen von Ingeborg Hallstein und Fritz Wunderlich. Deshalb hatte ich natürlich auch großes Bauchweh. Es würde nicht leicht sein, da heran zu kommen. Aber ich hoffte, es würde nicht allzu weh tun.
Aber wie ich schon einmal an dieser Stelle schrieb. Ich lasse mich gerne erstmal auf den Abend ein.

Und dieses Mal hat es sich auch wieder gelohnt.
Eine sehr gelungene Aufführung für mich. Das Bühnenbild modern und mit einigem Schnickschnack, worauf ich verzichten hätte können. aber zumindest nicht störend.. Und die Kostüme schienen mir einigermaßen passend. Wenn mir auch nicht ganz klar war, warum die Götter und Priester alle Masken tragen mussten. Oder vielleicht doch *gg*
Miteinander hatte es doch etwas Sinnliches, Märchenhaftes. Viel zum Schauen und auch zum Grinsen.

Zur Handlung werde ich diesmal nichts schreiben. Ich setze einfach voraus, dass die Zauberflöte doch hinlänglich bekannt ist.

Gedanken zum Inhalt kann man sich natürlich viele machen.
Dieser Kampf der beiden Mächtigen, den sie nicht direkt gegeneinander austragen, sondern andere dafür als Instrumente verwenden.
Die Aufgabenstellung an die Männer, sich von den Umgarnungen der Frauen nicht beeindrucken zu lassen – wahre Männlichkeit zu zeigen! Uiiii …
Der bööööse Schwarze, der sich nach Liebe sehnt, nach der Liebe der Weißen.
Ja da gibt’s schon einiges.
Und doch mag ich mich an der Zauberflöte dann doch lieber den sinnlichen Bildern und der Musik hingeben. Deshalb bin ich auch so dankbar, dass nicht übermodern inszeniert wurde und Papagena nicht in Strapsen herumlaufen musste.
Letztendlich stecken in allen Märchen solche Konflikte und Lehren.

Zu den Ausführenden:

Allen voran erfreulicherweise eine tolle Königin der Nacht: Julia Novikova, eine junge russische Sängerin, die mir kein Magensausen verursachte. Dafür bin ich dankbar und werde mich in das Fangefolge dieser bezaubernden jungen Dame einreihen.
>>> Homepage von Julia Novikova

Sarastro – Georg Zeppenfeld: Ein schöner, sauber klingender Bass, der mir zu Gänsehautschauern verholfen hat (Ich bin nicht so die Tenor-Freundin, habs lieber männlich-sonor).

Auch Papageno kommt mir deshalb in der Stimmlage wesentlich näher als Tamino.
Hans Peter Kammerer war ein liebenswerter, lebendiger Papageno, spiel- und sangesfreudig. Ein Gute-Laune-Papageno mit einem hörenswerten Bariton.

Auch bei Pamina Alexandra Reinprecht konnte ich keinen Abfall zu meinen Erwartungen verzeichnen.

Der Tenor Benjamin Bruns in der Rolle des Tamino; wie gesagt, ich bin nicht so die Tenor-Freundin, aber ich glaube, er hat seine Sache auch recht gut gemacht. In manchen Passagen kam er mir allerdings zu langsam vor, was aber wohl nicht ihm anzukreiden ist.

Der Dirigent Ivor Bolton war mir bisher unbekannt, muss ich zu meiner Schande gestehen. Doch bis auf die Tenorlangsamkeiten ist mir nichts Negatives an der musikalischen Leitung und Leistung aufgefallen.

Der Rest des Ensembles – ich hatte das Gefühl, bis in die kleinste Rolle sehr gut besetzt und gut gesungen. Zumindest fiel mir niemand unangenehm auf. Und das ist auch nicht immer so!

Im Großen und Ganzen ein wirklich schöner Opernabend, den ich sehr genossen habe.

Wer noch ein paar Fotos und ein kleines Video anschauen möchte, bitte sehr: Wer noch ein paar Fotos und ein kleines Video anschauen möchte, bitte sehr:
Wiener Staatsoper – Zauberflöte

 

der parasit – burgtheater wien, 29.4.2011


der parasit – oder die kunst sein glück zu machen

ich gestehe, ich hatte bisher von diesem werk schillers nichts gehört …

es handelt sich dabei allerdings um die umarbeitung eines stückes von louis benoit picard – und wird oftmals als ledigliche „übersetzung“ geführt, was aber so angeblich nicht den tatsachen entspricht, weil schiller wesentliche änderungen in seiner variante vornahm.
vor ort fand ich es absolut untpyisch, wenn ich das so nennen darf.
es mutete (nun also schon logischerweise) eher als eine französische komödie an, und das lag keineswegs nur an den namen der akteure. hatte eine gewisse leichtigkeit, die jedoch dem tiefen hintergrund des stückes keinerlei abbruch tat. das verbinde ich nicht so selbstverständlich mit schiller.

gut, aber da war ich nun und ließ mich, wie immer, wenn ich ins theater gehe, überraschen und wenn möglich mitnehmen, besser noch mitreißen. und ich möchte es gleich vorwegnehmen, das gelang gestern absolut!

zum inhalt:

selicour ist ein schleimiger emporkömmling, der sein mäntelchen perfekt in den wind hängen kann. er schafft es, sein umfeld zu manipulieren, ohne den anschein zu erwecken, sich selbst zu sehr in den vordergrund spielen zu wollen. aber gerade diese vorgezeigte bescheidenheit, die sich an ihrem anderen ende als skrupellosigkeit untergebenen oder widersachern gegenüber entlarvt, lässt ihn immer höher steigen.

der neue minister narbonne hält große stücke auf ihn, sieht ihn für einen posten als gesandten vor und auch als gatten für seine tochter charlotte.

selicour veranlasst die kündigung des langjährigen mitarbeiters la roche, der sich dafür rächen möchte, aber zuerst versucht, dem minister die wahrheit aufzuzeigen.

erst als dies nicht gelingt, greift er auf die selben methoden zurück wie selicour …

gerade diese essenz wird in der inszenierung von matthias hartmann ganz toll hgerausgearbeitet. damit es nur ja nicht passiert, dass sie in ihrem subtilen auftreten so manchem verborgen bleibt. er wählt eine dreifach-schlussszene, in der – mit dem gleichen text – alle möglichkeiten des endes einer solchen geschichte aufgezeigt werden.

der wichtige schlusssatz kann von narbonne, selicour und la roche interpretiert werden. und zeigt dadurch die flexibilität der sogenannten wahrheit und ihrer folgen auf:

„Diesmal hat der Verdienst den Sieg behalten. – Nicht immer ist es so. Das Gespinst der Lüge umstrickt den Besten; der Redliche kann nicht durchdringen; die kriechende Mittelmäßigkeit kommt weiter, als das geflügelte Talent; der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.“

die inszenierung hat mich sehr beeindruckt! das bühnenbild ist minimalistisch, eine weiße wand, mit verschieden großen türen, aus denen die akteure ihrem machtanspruch entsprechend auftreten. die kostüme bestehen aus straßenkleidung. keiner muss ein besonderes mützchen aufsetzen, um der insenzierung glanz zu verleihen …

und das ensemble: zum schwärmen!

ich nenne allen voran udo samel (minister narbonne) – einfach weil ich an und für sich ein großer fan von ihm bin. dieser kleine mann braucht einfach nur stumm über die bühne zu trippeln und ist so was von präsent, dass sich jeder baumlange schauspieler schon mächtig aufrichten muss, um an seine größe heranzukommen.

michael maertens (selicour) gelingt dies allerdings perfekt. seine körpersprache allein könnte ohne text schon den charakter transportieren. die nuancen seiner stimme und seine mimik machen seine auftritte zum reinen genuss.

oliver stokowski (la roche) ist ein toller rächer. seine hilflosigkeit schüttelt ihn zu mehr oder weniger unterdrückter wut, die nervös und verzweifelt macht. sein abgang in seiner variante der schlussszene steht der schleimigkeit selicours jedoch dann in nichts nach.

kirsten dene (mutter des ministers). ja, was soll man zu kirsten dene schon sagen? eine große schauspielerin, die in dieser rolle wohl ein wenig überbesetzt ist, aber mit sicherheit das möglichste herausholt. ihre hörigkeit gegenüber selicour trägt auch ein gutes maß an erotik. die pikanterie, da es sich ja um den möglichen zukünftigen mann ihrer enkelin handelt, kann sie selbstverständlich perfekt herüberbringen.

auch johann adam oest (firmin) ist in seiner rolle als unauffällig bleiben wollender handlanger perfekt besetzt.

der rest des ensembles bietet eine solide, gut abrundende leistung.

fazit:
ein wirklich toller theaterabend!
mit einem stück, das wohl mehr als aktuell ist …

>>> „der parasit“ am burgtheater wien – mit galerie

 

turandot – volksoper wien, 28.3.2011

turandot – volksoper wien, 28.3.2011

nun ja, die begeisterung meines letzten theaterbesuchs (harold und maude) kann ich hier nicht verbreiten. es war mit sicherheit kein vergeudeter abend, aber um die vorstellung weiterzuempfehlen …

die geschichte, vielleicht so manchem bekannt, spielt an und für sich im alten china. die wunderschöne, aber eiskalte prinzessin turandot stellt den männern, die um sie werben 3 rätsel. können sie nicht gelöst werden, lässt sie die werber hinrichten.

zu einer dieser hinrichtungen kommt calaf, der sohn des entthronten königs der tartaren. er trifft seinen totgeglaubten vater wieder, der von der jungen dienerin liu begleitet wird, die bei ihm geblieben ist, weil der junge calaf sie im palast einmal angelächelt hat.
das wiedersehen ist von kurzer freude.
calaf verflucht wohl erstmal die harte, blutrünstige turandot, aber nur solange bis er sie sieht. denn in diesem augenblick entflammt auch er in unlöschbarer sehnsucht nach ihr.
er stellt sich gegen alle bitten und warnungen den 3 rätseln. kann sie lösen, jedoch turandot will sich ihm trotzdem verweigern. mit gewalt will er sie nicht nehmen, also gibt er ihr seinerseits ein rätsel auf. sie muss bis zum morgengrauen seinen namen erfahren, dann will auch er sterben.
sie ordnet schlaflosigkeit für das ganze volk an, alle müssen nach dem namen des jungen mannes forschen. der singt derweil die berühmte arie (nessun dorma – keiner schlafe!)
liu wird gefunden, die – um den alten könig zu schützen – zugibt, dass sie als einzige den namen weiß, ihre unerwiderte liebe gesteht und sie so beweisen will, dass sie lieber stirbt, als den namen bekannt zu geben. sie weiht ihren tod der liebe des geliebten zu prinzessin turandot.
diese muss sich eingestehen, dass sie calaf vom ersten augenblick an fürchtete, weil sie spürte, dass er ihrer harten schale gefährlich werden könnte. dieser härte, die sie in sich aufgebaut hatte, weil eine vorahnin von ihr von den tartare verschleppt, vergewaltigt und getötet wurde …
es gibt ein happy end auf den gräbern so vieler toter … aber das ist halt nun mal oper. da gibt es das ja öfter …

die musik von puccini ist pucciniresk, also melodiös und leicht ins ohr gehend, bis hin und wieder dramatisch anschwellend. ab dem liebesduett gegen ende allerdings nicht mehr von puccini, weil dieser leider schon vorher verstorben ist.

die musik in der volksoper war für mich eindeutig zu laut und zu scheppernd. vielleicht lag es auch unseren karten, wir saßen auf dem ersten rang in der ersten reihe der 2. balkonloge. da sitzt man ziemlich genau über dem orchestergraben. was die lautstärke einigermaßen erklären oder gar entschuldigen könnte, aber das scheppern eher nicht.
in den dramatischeren passagen kamen die sänger oftmals nicht über die musik hinweg, was aber meines erachtens nach nicht an der qualität ihrer darbietung lag, sondern eben daran, dass die musik zu laut war.

der tenor – mario thang – ein sehr guter! ja, der hat wirklich alles schön gebracht und sein „nessun dorma“ war begeisternd. leider war in der inszenierung keine pause für einen zwischenapplaus gelassen, was mich auch ein wenig störte …
liu – melba ramos – einfach zum schwärmen! von stimme und vortrag her. beides sehr emotional. leider in einem unbeschreiblich unkleidsamen kostüm, wozu ich aber später noch komme.
die drei minister ping, pang, pong – gute stimmen, guter vortrag, gute choreographie, unterhaltsame auftritte.
ja, und das wars aber auch schon.

bühnenbild und kostüme – eine mittlere katastrophe für jemanden wie mich. ich mag kein regietheater! und in der oper noch weniger.
hier wurde die geschichte also aus dem alten china in ein fanatsiereich transformiert, die kostüme waren sämtliche an insekten erinnernd ausgerichtet. bunt und prächtig und sollen vielleicht ein sinnliches erlebnis sein. aber halt nicht für jemanden wie mich. für mich kam das alles wie eine schlechte revue herüber.
turandot ist für mich china. und da hätte ich es gerne ein wenig chinesisch. und nicht mit bunt geschminkten gesichtern wie im fasching und kostümen wie aus jonkes insektarium.

gut, aber das mag geschmacksache sein …

aber die „heldin“, die war nicht geschmacksache.
frau turandot, namens anda-louise bogza steht auf der bühne wie walküre, bewegt ihre arme in abgezirkelten bewegungen wie sie ihr einfallen, dass der regisseur sie dazu ermahnt hat und so singt sie leider auch. seelenlos und hölzern. und wenns dramatisch wird, dann klirren orchester und die prinzessin um die wette.

und deshalb war dieser abend einerseits wohl nicht verloren und auch nicht, um in der pause zu gehen, aber andererseits die aufführung nicht, um sie (meinerseits) weiter zu empfehlen.

hier noch ein link, da gibt es auch ein kleines video …
turandot an der volksoper wien

 

harold und maude – volkstheater wien – 7.3.2011

harold und maude – volkstheater wien – 7.3.2011

eine fulminante inszenierung, die da derzeit am volkstheater in wien zu sehen ist.

die geschichte ist ja wohl noch vom film her bekannt. ein 18jähriger aus reichem haus, depressiv und überspannt, pflegt als hobby die inszenierung seiner selbstmorde und liebt besuche auf dem friedhof. dort lernt er eine woche vor ihrem 80. geburtstag die unkonventionelle und lebhafte maude kennen. sie bekommt zugang zur gefühlswelt des verschlossenen jungen mannes und sie werden ein liebespaar. doch auch maude hat sich zur inszenierung ihres eigenen todes bereits entschlossen …

was hier im volkstheater aus dieser geschichte gemacht wurde, muss sich hinter dem film nicht einen millimeter verstecken und ist ein unbeschreibliches erlebnis für den zuschauer.
die vielschichtgkeit des stückes wird gekonnt dazu benützt, um aktuelle zeitgeisterscheinungen und das heute weitverbreitete unvermögen zur kommunikation satirisch einzubinden. der schwarze humor treibt einem die lachtränen in die augen und philosophische weisheiten füttern den geist.

im laufe des stückes wechselt man eindeutig auf die seite von menschen, die einen im täglichen leben wohl selber eher unbehaglich zumute werden ließen.
der junge mann mit seiner todessehnsucht – oder dem krankhaften bestreben, mit todesinszenierungen die aufmerksamkeit seiner mutter zu erlangen. er hantiert mit stricken, messern, pistolen, särgen und sprengstoff und hackt sich bei einem verkuppelungsversuch mit einem beil augenscheinlich die hand ab.
auf der anderen seite maude, die bäume rettet, seelöwen aus dem zoo befreit, autos oder fahrräder stiehlt und gefühlserweiternde tees zubereitet.
und dann noch der altersunterschied des liebespaars.
das sind nicht die leute, mit denen sich der normalbürger so gerne einlässt.

doch in dieser bunten schwungvollen aufführung möchte man am liebsten auf die bühne springen, mittanzen, mittrinken und die guten leutchen umarmen und vor der bösen gesellschaft beschützen.

wäre es doch im wahren leben nur auch so …

und einfach genial die besetzung.

allen voran die wunderbare elfriede irrall – die 73jährig über die bühne springt und tanzt, wie eine elfe. die frau sieht entzückend aus, bringt eine unglaubliche präsenz über den bühnenrand und macht tatsächlich auf offener bühne einen kopfstand!
der junge mann, claudius von stolzmann, hölzern bis an die knochen, kann die kälte seiner verkümmerten seele so gekonnt spielen, dass einen nicht nur einmal das frösteln anspringt.
und susa mayer, die tolle mutterbesetzung, die wohl vollkommen zu unrecht natürlich ein wenig im schatten der genialen elfriede irrall steht.
dazu ein sensationell dynamischer auftritt der unfassbar beweglichen, molligen stefanie reinsperger in der rolle einer der von der mutter bestellten heiratskandidatinnen,ein aussagekräftiges bühnenbild und eine musikauswahl vom feinsten.

meinetwegen hätte die aufführung noch ein paar stunden dauern können!

>>> volkstheater wien – harold und maude – mit vielen fotos