Was macht Lena heute I.

 
Lena runzelte die Stirn, dann klickte sie auf den Button „Rückwärts“ in ihrer Mailbox.
„Du wirst doch nicht glauben, dass ich einer dieser Spinner im Netz bin“, stand da und diesen Satz hatte blohi geschrieben.
Sie klickte auf „Vorwärts“.
„Du wirst doch nicht glauben, dass ich einer dieser Spinner im Netz bin“, stand da und diesen Satz hatte hesse’s hermann geschrieben.

Warum nur waren die Männer immer so wenig originell?

„Geliebtester“, schrieb sie, „ich glaube nicht, dass du einer dieser Spinner im Netz bist,
aber … wie kommst du auf die Idee, dass ich die Frau deines Lebens sein könnte?“
„Du bist etwas ganz Besonderes“, schrieb blohi.
„Du bist so etwas Besonderes“, schrieb hesse’s hermann.

Lena schüttelte den Kopf, stand auf und ging ins Bad, um die Waschmaschine auszuräumen. Beim Wäscheaufhängen musste sie vor sich hinlachen. Und doch … es ärgerte sie.
Was wollten diese Männer von ihr?
Sie kannten sie doch gar nicht.
Sie kannten nur ihre Gedichte. Die Gedichte, die sie für Max geschrieben hatte und die sie nun auf ihrer Homepage und ihrem Weblog veröffentlichte, um ein wenig Werbung für ihr Buch zu machen.
Demnächst wurde sie sechzig, ihre Kleidergröße hatte sich, wie bei den meisten Frauen dieses Alters, um noch eine Nummer erhöht und am Morgen beim Aufstehen humpelte sie ins Bad, weil ihre Knie schmerzten.
Was war daran Besonderes?

„Ich möchte dich ganz fest an mich drücken, meine Finger streichen dir das Haar aus der Stirn und liebkosen dein Ohr“, schrieb blohi.
„Dann zeichne ich mit dem Finger deine schöne Lippen nach“, schrieb hesse’s hermann.
„Aaah! Ja! Geliebte, beiß doch ein wenig zu. Ich liebe deine zärtlichen Bisse.“ Das war blohi.
Lena biss sich mit ihren neuen, sündteuren Porzellanzähnen, auf die Lippen.
Welche Haare strich ihr blohi bloß aus der Stirn?
Sie hatte einen flotten Kurzhaarschnitt, die Haare standen streichholzlang und kerzengrade in die Höhe.

„Ach Geliebte, lass uns Tango tanzen. Dieses Kleid in der Farbe des sommerroten Hibiskus, das sich an deinen Körper schmiegt, weckt das Verlangen nach Tango mit dir.“
Das war – natürlich – hesse’s hermann, er hatte eine etwas blumenreichere Sprache als blohi.
„Ich trage keine Kleider“, schrieb Lena.
„Oh Liebste, ich sehe dich in deinem roten Kleid über die Wiese tanzen“.
„Ich trage keine Kleider“, schrieb Lena noch einmal. „Und auf der Wiese kann man doch nicht Tango tanzen. Und mit meinen Knieen schon gar nicht“.
„Ich sehe dich in deinen leichten duftigen Kleidern, die sich wie eine zweite Haut an dich schmiegen, meine Finger liebkosen den weichen Stoff, und schmeicheln sich darunter, … ach Liebste, an deine wunderbar samtweiche Haut …“
Nun ja, immerhin trug sie ja zeitweise Fummel über dem – freilich weichen – Faltenwurf ihrer Haut.

„Ich möchte dich fest an mich drücken“, schrieb blohi, „und in deinem Arm einschlafen. Beim Erwachen könnte ich deine Nähe spüren und meine Hand würde deine weiche Haut so lange streicheln, bis das Glück aus deiner goldenen Grotte fließt.“
Nun das ging aber denn doch etwas zu weit.

„Liebster Blohi“, schrieb sie, „ich eigne mich nicht zu solchen Spielchen. Ich bin ein spiritueller Mensch und mein Gefühl ist auch intakt, aber Sexualität ist für mich eine Frage zwischen einem Mann und einer Frau. Und nicht zwischen schwarzen Buchstaben auf einem Bildschirm und mir!“
„Liebste, ich spüre dein Verlangen. Warum wehrst du dich so?“

Mal sehen, was hesse’s hermann zu dem Thema zu sagen hatte?

„Ich sitze hier am Fluss, die Abendsonne sinkt in das Wasser, ach diese Farben, Geliebte sieh nur, diese Farbenpracht! Ich lege meinen Arm um dich und zieh dich ganz nah an mich. Ich küsse deinen weichen Hals und sauge deinen Duft tief in mein Herz. Du riechst so gut. Wie die morgendliche bunt blühende Wiese, die sich vor meinem Haus ausbreitet. Jeden Morgen schnuppere ich ihren Duft, um dich in meiner Nähe zu fühlen. Ach, könnten unsere Träume doch wahr werden.“

„Liebster hh“, schrieb sie. „Mein Parfum heißt Lancome und riecht nach Zitrusfrüchten und was weißt du von meinen Träumen?“
„Liebste, ich spüre dein Verlangen. Warum wehrst du dich so?“

Warum nur, waren die Männer immer so wenig originell?

© evelyne w.

Zu Teil II.

 

Was macht Lena heute II.

 
„Ich hasse Max“, schrieb hesse’s hermann. „Wie konnte er dir nur solchen Schmerz zufügen?“
„Lieber, er hat mir keinen Schmerz zugefügt! Es war meine Romanheldin, der er Schmerz zugefügt hat.“
„Manchmal schäme ich mich, ein Mann zu sein. Einer Frau, wie du eine bist … Ich entschuldige mich für alle Männer bei dir. Es ist gut, dass du nun mich kennen gelernt hast. Ich werde mit meiner Liebe deine Wunden heilen.“
„Ich habe keine Wunden, höchstens ein paar Narben. Mein Mann ist einfühlsam, belastbar und intelligent. Und er findet meine Narben ebenso schön wie ich. Sie sind Zeugen meiner Liebe zum Leben, und des Mutes, der mich so lange suchen ließ, bis ich ihn gefunden habe“.
“ Ich liebe deine spröde Zurückhaltung. Liebste, komm in meine Arme. Ach, du Vollweib du!“

„Ich kenne deinen Roman nicht“, schrieb blohi.
„Aber ich kenne die Männer. Ich bin anders, glaube es mir endlich. Ich werde dir, was sie dir angetan haben, aus dem Körper massieren. Ich werde dir warmes Massageöl auf deinen Rücken träufeln und es ganz langsam verlaufen lassen. Es wird in der Spalte deines Arsches eine duftende Spur zu deiner heißen Liebesrose legen.“
Lena las den Satz mehrere Male.
Konnte sie den für ihren neuen Roman brauchen?
Nein!
Liebesrose! Ohgott, ohgott! Liebesrose! Neiiin!

Mal sehen, ob sie hesse’s hermann etwas passenderes entlocken konnte.
„Spürst du meine warmen Hände auf deinem Rücken? Ich massiere dich mit seidenen Fingerkuppen, immer im Kreis, immer im Kreis, ganz langsam immer weiter abwärts, immer im Kreis. Meine Kreise werden neugieriger. Spürst du die Lust, die ich dir in deine sehnsüchtig geöffnete, feucht beschlagene Grotte massiere?“
Auch nicht das Gelbe vom Ei. Aber wenigstens etwas besser.

„Ach, mein Schwanz zuckt bei jedem Gedanken an dich“, kam blohi zur Sache.
„Ich wünsche mir, dass du es nicht schaffst, wenn du dies liest, die Hände von deiner
Blüte zu lassen. Oh die ersten Tropfen verlassen das rote Köpfchen meines zum Bersten bereiten …“
(Hoffentlich schrieb er jetzt nicht Liebesrosenstiel, dachte Lena)
„… Liebesturmes“ (nun, das war auch nicht besser).
„Ah, Geliebte, der Gedanke an deinen lüsternen Blick lässt ihn dir seine Liebe entgegen spritzen.“

„Lieber blohi“, schrieb Lena. „So geht das nicht. Ich habe dich gebeten, diese Spielchen nicht mit mir zu versuchen. Ich mag das nicht. Du kannst mir gerne schreiben, aber bitte respektiere meine Abneigung gegen diese Form der Mailkommunikation.“

„Oh Liebste, entschuldige, aber meine Liebe hat mich einfach mitgerissen. Du hast eine Ausstrahlung auf mich, die Tag und Nacht in mir pocht und pulsiert! Ich kann an gar nichts anderes mehr denken, als … ach, ich bin schon still …“

Ihre beste Freundin Katharina schrie wieder einmal:
„Bitte kannst du endlich mit dieser kranken Mailerei aufhören. Die sind doch alle nicht dicht. Georg erzählte, sein Freund hatte mit einer charmanten Braut geflirtet und kam nach Monaten dahinter, dass sie ein Mann war … Das sind doch alles Schreibwichser.“

Nun, diesmal konnte Lena nur wenig erwidern, denn …
„Geliebte, die Glut in deinen Augen erhitzt meine Männlichkeit ins Unerträgliche“, schrieb hesse’s hermann. „Ich reiße dich in meine Arme, meine Küsse treffen jede Stelle deines Körpers hundertfach. Meinen Armen wachsen tausende Hände, mit denen ich jeden Millimeter deines Körpers liebkose. Dein wollüstiges Winden unter meinen zärtlichen Händen und lüsternen Blicken drängt zur Entladung. Ja, öffne dich, öffne dich, du Göttliche, damit ich dir meine Liebe in den Leib sprengen kann.“
Wow!
Wurden die Männer nun vielleicht doch origineller?

„Liebe Lena“, schrieb rumpelstilz.
„Die Gedichte auf deiner Homepage lassen mich Sehnsucht verspüren. Noch niemals zuvor habe ich mich einerseits so gut verstanden gefühlt und andererseits so stark den Wunsch verspürt, diese Frau beschützen zu wollen. Beschützen vor meiner eigenen Spezies.
Bitte wirf mir kleine Krumen deiner Wortwärme zu, die mich beim Zusammenklauben in deiner Nähe sein lassen.
Fürchte nicht, dass ich einer dieser Spinner im Netz sein könnte, ich will nichts von dir. Aber bitte stoße mich nicht in das Dunkel zurück, in welchem ich mich bis zum Blick in das Licht deiner Liebe befand.“
Wie viele Mails würde der wohl brauchen, um seine Hand unter den Schreibtisch zu führen, um seinem Rumpelstilzchen Erleichterung zu verschaffen? dachte Lena und holte den Bügeltisch. Sie bügelte so gern. Die Wäsche duftete immer so gut und vertrieb augenblicklich den unangenehmen Geruch, der von ihrem Bildschirm aus in ihre Nase gestiegen war.

© evelyne w.

Zu Teil I.
 

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Die Vorgeschichte
und die erwähnten Gedichte für Max
befinden sich in meinem Roman
… und Lena liebt