Chuzpe – Wiener Kammerspiele – 4.4.2013

 
Lange musste ich mich bemühen, um endlich Karten zu ergattern. Seit Monaten ist die Vorstellung ausverkauft, bevor die Karten noch in den regulären Verkauf kommen.
Aber vorgestern hatte ich Glück. Eben hatte jemand Karten zurückgegeben, als ich (wahrscheinlich zum 100. Mal anrief) und da wir spontan sind, klappte es also nun gestern.

Vor gut 5 oder 6 Jahren haben wir das Buch gelesen. Wir sind an und für sich Lily Brett-Fans, wenn es nicht gerade um ihr neuestes Buch geht, und deshalb blieb ich so am Drücker. Weil es uns damals begeisterte.

Und natürlich hat sich das Warten und die Hartnäckigkeit gelohnt, soviel schon vorweg.

Inhalt:

Ruth lebt, mit ihrem Ehemann und ihren erwachsenen Kindern, in besten Verhältnissen in New York. Ihre Eltern waren jüdische Polen, die im Ghetto lebten und dann auch den Horror von Auschwitz miterleben mussten, bevor sie mit der kleinen Ruthie nach Australien auswanderten.
Nun ist ihr Vater siebenundachtzig und übersiedelt zu ihr nach New York.
So sehr sie ihren Vater liebt, er bringt eine Unruhe in ihr Leben, mit der sie nur sehr schwer zurecht kommt.
Als dann auch noch Zofia und Walentyna, zwei Witwen, die er auf einer Polenreise kennen lernte, in New York auftauchen, ist es mit Ruths Seelenfrieden ganz vorbei.
Die eingeschworene Diätikerin muss miterleben, wie ihr Vater und die Damen ein Klöpse-Restaurant eröffnen. Ihre naive Bescheidenheit und ihr Tatendrang führen jedes Marketing-Konzept ad absurdum. Ihre Kommunikationsfreude stellt die New Yorker Gesellschaft auf den Kopf.

Die Inszenierung von Dieter Berner hat einiges elegant gelöst, was uns im Vorfeld schwierig auf die Bühne zu bringen schien. Ruth ist nicht nur Hauptdarstellerin, sondern auch Erzählerin. Die Vermischung ist originell und absolut nicht störend.
Auch er behilft sich, wie nun schon öfter in den Kammerspielen erlebt, mit kleinen Videosequenzen, die ebenfalls sehr gut passen. Die minimalistische Bühne ist o.k. und die Protagonisten sehen „normal“ aus. Also keine neuzeitlichen Verfremdungen, wie sie heute oft Gang und Gäbe sind.

Und die Darsteller – vom Feinsten!

Eine idealere Besetzung als Otto Schenk für den Edek hätte man wohl derzeit nicht finden können. Das jiddisch Wienerische tut der Rolle gut, macht den Alten noch verschmitzter. Abgesehen davon, dass es eine Riesenfreude ist, den großen Charakterdarsteller in seinem Alter noch so erfrischend komödiantisch auf der Bühne erleben zu können. Genau deshalb passt er ja wohl auch so gut.

Sandra Cervik – nun, ich bin kein Fan von ihr. Aber auch hier fand ich, dass die Rolle perfekt besetzt war. Die neurotische, hilflose, ausgemergelte Gesundheitsjüngerin, die andererseits ihren Vater glücklich sehen will, bringt sie wirklich sehr authentisch herüber.

Ja und dann – ein Naturereignis: Grazyna Dylag als Zofia. Sie ist Polin, aber abgesehen davon, ist diese gewisse polnische Schlitzohrfreundlichkeit, die sich so oft in Verbindung mit einem großen, warmen Herz ausdrückt, von ihr hinreißend dargestellt. Ihre körperlichen Vorzüge, in bunte Klamotten gequetscht, stehen gekonnt im Kontrast zu der dürren schwarzgekleideten Cervik.

Gabriele Schuchter als ihr Anhängsel ist auch immer wieder köstlich anzusehen, wie sie das loyale, echoende Hascherl bringt.

Mit anderen Worten: Ein begeisternder Theaterabend, wie man ihn sich immer wünschen würde.
Guter Text, eine Handlung, die ihre zugrundeliegende Ernsthaftigkeit schmissig und humorig aufarbeitet. Und ein einfach hinreißendes Ensemble, das sich nicht im Regietheater verlieren muss, sondern ihr Können voll ausspielen darf.

Selbstverständlich scheint der alte Mann für die nachfolgenden Generationen etwas nervig, aber andererseits bedürfte es doch lediglich etwas mehr Großzügigkeit, um dies nicht zum Problem werden zu lassen. Einem alten Menschen Lebensfreude abzusprechen, ihn als meschugge abzustempeln, wenn er Pläne umsetzen will, ist leider ein gängiges Modell in unserer Gesellschaft. Erfülltes Sexleben in diesem Alter wird bei uns als undelikat angesehen.
Das liegt nicht an den Alten, wenn es da zu Unverständnis kommt!

Oder auch die groteske Diskrepanz zwischen der Modehungerei und dem Hunger in den Kriegsjahren und im KZ, von dem Edek nur in einzelnen Worten erzählt,
Wie gesagt, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Bonmots wird hier gearbeitet.
Macht Spaß und Freude und trocknet dem Zuseher keineswegs das Hirn aus.

Ich bin sehr glücklich, dass ich es doch noch geschafft habe, Karten zu ergattern.

© evelyne w.

Chuzpe – Kammerspiele Wien – mit Szenenfotos

 

Lumpazivagabundus – Theater in der Josefstadt – 5.4.2012

Lumpazivagabundus von Johann Nestroy

Gibt es jemanden, der die Geschichte nicht kennt?
Für diesen sei sie kurz erzählt.
Im Feenreich will Hilaris, der Sohn des Zauberers Mystifax Brillantine, die Tochter der Glücksfee Fortuna heiraten. Doch diese befindet sich im Streit mit der Liebesfee Amorosa und schließt deshalb eine Wette mit ihr ab.
Drei vagabundierende Handwerksgesellen, der Tischler Leim, der Schuster Knieriem und der Schneider Zwirn sollen dem bösen Geist Lumpazivagabundus entrissen werden. Fortuna meint, nur ihr Geld könnte sie befreien, Amorosa ist davon überzeugt, dass dies nur die Liebe kann.
Sollten mindestens zwei von den dreien Fortunas Gaben nicht halten können, hat sie die Wette verloren und muss ihre Einwillung zu der Hochzeit ihrer Tochter geben.

Das liederliche Kleebatt gewinnt mit einem Glückslos 100.000 Taler und beschließt daraufhin ein Treffen nach Jahresfrist.

Zur Inszenierung von Georg Schmiedleitner. Wie vorher schon befürchtet, wieder das gleiche Trauerspiel wie vor ein paar Wochen im Volkstheater. Eine Aufführung, die eher an ein Comic erinnert als an Nestroy: Schrille Bilder mit Sprechblasen. Kein Raum um dem tieferen Sinn der Geschichte über Text und Darstellung auf die Spur zu kommen.

Das Bühnenbild selbst hätte mich diesmal noch nicht so gestört, eine eher karge Darstellung des Universums mit dunklen Wänden und Sternen. Nicht sehr schön, aber zumindest nicht erdrückend. Obwohl die Neonröhren-Dekoration auch hier Einzug gehalten hat.
Echt störend – die laute Live-Musik im Hintergrund der Bühne. Die an und für sich exzellenten Musiker der Sofa Surfers wurden teilweise so laut verheizt, dass ich mir die Ohren zuhalten musste.
Und beinahe selbstverständlich fehlten bei dieser Art von Musik die Couplets, die eigentlich ein wesentlicher Bestandteil jedes Nestroy-Stückes sind.

Was mir persönlich in jedem Fall fehlte: die Spielfreude, die zu einem Nestroy für mich gehört. Hier wird „gearbeitet“. Mich wundert es nicht. Wenn ich Schauspieler wäre, könnte ich hier wohl auch keine Freude am Spiel finden.

Ensemble:

Jahrelang hatte ich ein Abo in diesem Theater. Und die Besetzungsliste bot mir im Vorfeld Wiedersehensfreude mit vielen klingenden Namen aus dieser Zeit. Allerdings waren die wunderbaren Schauspieler, die dieses Haus jahrzehntelang getragen hatten, nun in kleinen Nebenrollen besetzt.
Die junge Riege konnte mich nicht überzeugen.

Knieriem, Martin Zauner blieb blass und konturlos. Ich konnte ihm den philosophischen Säufer nicht abnehmen.
Leim, Rafael Schuchter, steif bis hin zum holprigen Versuch seiner Bühnensprache Dialektfärbung zu geben.
Einzig Florian Teichtmeister ist einigermaßen überzeugend in seiner Rolle als Zwirn.
Aber wer, wie ich, vor einigen Jahren Karl Markovics in dieser Rolle gesehen hat, ist wahrscheinlich bis an sein Lebensende sowieso für andere Zwirns verdorben …

Die Granden der Josefstadt, Lotte Ledl, Marianne Nentwich, Marianne Chappuis, Gideon Singer und Alexander Wächter blieben ebenfalls weit hinter meinen Erwartungen zurück, aber was sollten sie auch schon in ihren Rollen Tolles zeigen.

Doch überstrahlt und zum Erfolg gepusht wird diese Aufführung von einer grandiosen Erni Mangold als Lumpazivagabundus. Die Frau ist 85, spielt mit künstlicher Glatze und schwarzem, hochgeschlitzten Kleid mit tiefem Rückendekollete diese Rolle als erotischer Vamp. Sie wirft die Beine, wiegt die Hüften und ist so unglaublich, dass mir die Worte fehlen, zu beschreiben, was sie auf die Bühne bringt.
Um ihr zusehen zu können, lohnte es sich, all das andere in Kauf zu nehmen!

Jubelnde Kritiken, aber auch Szenenfotos unter Josefstadt – Lumpazivagabundus
(Leider sind die Szenenfotos des Theaters in der Josefstadt offensichtlich bei einer der Proben gemacht und Erni Mangold hat ihre Glatzenhaube noch nicht auf. Denn sie ist damit absolut toll anzusehen. Und besonders erwähnen möchte ich hier noch ihre erstaunliche Rückenansicht, um die sie viele Frauen, die um einige Jahrzehnte jünger sind, beneiden könnten.)

Ich denke mit Wehmut an die Zeiten, als ich einfach noch gerne ins Theater ging. Dass es mir Freude machte. Heute sitze ich dort und muss mir mit Mühe einen Brocken heraussuchen, der diese Abende nicht zu Zeitverlust deklassiert.
Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich eine Ewiggestrige bin und mit vielem in dieser vordergründigen Zeitgeistzeit nichts anfangen kann.
Ich denke nämlich auch, dass alle, die Stücke auf diese Art inszenieren wollen, sich heute welche schreiben lassen sollten. Ob diese dann in 100 oder 200 Jahren allerdings noch immer Gültigkeit hätten, wage ich zu bezweifeln.