Lange musste ich mich bemühen, um endlich Karten zu ergattern. Seit Monaten ist die Vorstellung ausverkauft, bevor die Karten noch in den regulären Verkauf kommen.
Aber vorgestern hatte ich Glück. Eben hatte jemand Karten zurückgegeben, als ich (wahrscheinlich zum 100. Mal anrief) und da wir spontan sind, klappte es also nun gestern.
Vor gut 5 oder 6 Jahren haben wir das Buch gelesen. Wir sind an und für sich Lily Brett-Fans, wenn es nicht gerade um ihr neuestes Buch geht, und deshalb blieb ich so am Drücker. Weil es uns damals begeisterte.
Und natürlich hat sich das Warten und die Hartnäckigkeit gelohnt, soviel schon vorweg.
Inhalt:
Ruth lebt, mit ihrem Ehemann und ihren erwachsenen Kindern, in besten Verhältnissen in New York. Ihre Eltern waren jüdische Polen, die im Ghetto lebten und dann auch den Horror von Auschwitz miterleben mussten, bevor sie mit der kleinen Ruthie nach Australien auswanderten.
Nun ist ihr Vater siebenundachtzig und übersiedelt zu ihr nach New York.
So sehr sie ihren Vater liebt, er bringt eine Unruhe in ihr Leben, mit der sie nur sehr schwer zurecht kommt.
Als dann auch noch Zofia und Walentyna, zwei Witwen, die er auf einer Polenreise kennen lernte, in New York auftauchen, ist es mit Ruths Seelenfrieden ganz vorbei.
Die eingeschworene Diätikerin muss miterleben, wie ihr Vater und die Damen ein Klöpse-Restaurant eröffnen. Ihre naive Bescheidenheit und ihr Tatendrang führen jedes Marketing-Konzept ad absurdum. Ihre Kommunikationsfreude stellt die New Yorker Gesellschaft auf den Kopf.
Die Inszenierung von Dieter Berner hat einiges elegant gelöst, was uns im Vorfeld schwierig auf die Bühne zu bringen schien. Ruth ist nicht nur Hauptdarstellerin, sondern auch Erzählerin. Die Vermischung ist originell und absolut nicht störend.
Auch er behilft sich, wie nun schon öfter in den Kammerspielen erlebt, mit kleinen Videosequenzen, die ebenfalls sehr gut passen. Die minimalistische Bühne ist o.k. und die Protagonisten sehen „normal“ aus. Also keine neuzeitlichen Verfremdungen, wie sie heute oft Gang und Gäbe sind.
Und die Darsteller – vom Feinsten!
Eine idealere Besetzung als Otto Schenk für den Edek hätte man wohl derzeit nicht finden können. Das jiddisch Wienerische tut der Rolle gut, macht den Alten noch verschmitzter. Abgesehen davon, dass es eine Riesenfreude ist, den großen Charakterdarsteller in seinem Alter noch so erfrischend komödiantisch auf der Bühne erleben zu können. Genau deshalb passt er ja wohl auch so gut.
Sandra Cervik – nun, ich bin kein Fan von ihr. Aber auch hier fand ich, dass die Rolle perfekt besetzt war. Die neurotische, hilflose, ausgemergelte Gesundheitsjüngerin, die andererseits ihren Vater glücklich sehen will, bringt sie wirklich sehr authentisch herüber.
Ja und dann – ein Naturereignis: Grazyna Dylag als Zofia. Sie ist Polin, aber abgesehen davon, ist diese gewisse polnische Schlitzohrfreundlichkeit, die sich so oft in Verbindung mit einem großen, warmen Herz ausdrückt, von ihr hinreißend dargestellt. Ihre körperlichen Vorzüge, in bunte Klamotten gequetscht, stehen gekonnt im Kontrast zu der dürren schwarzgekleideten Cervik.
Gabriele Schuchter als ihr Anhängsel ist auch immer wieder köstlich anzusehen, wie sie das loyale, echoende Hascherl bringt.
Mit anderen Worten: Ein begeisternder Theaterabend, wie man ihn sich immer wünschen würde.
Guter Text, eine Handlung, die ihre zugrundeliegende Ernsthaftigkeit schmissig und humorig aufarbeitet. Und ein einfach hinreißendes Ensemble, das sich nicht im Regietheater verlieren muss, sondern ihr Können voll ausspielen darf.
Selbstverständlich scheint der alte Mann für die nachfolgenden Generationen etwas nervig, aber andererseits bedürfte es doch lediglich etwas mehr Großzügigkeit, um dies nicht zum Problem werden zu lassen. Einem alten Menschen Lebensfreude abzusprechen, ihn als meschugge abzustempeln, wenn er Pläne umsetzen will, ist leider ein gängiges Modell in unserer Gesellschaft. Erfülltes Sexleben in diesem Alter wird bei uns als undelikat angesehen.
Das liegt nicht an den Alten, wenn es da zu Unverständnis kommt!
Oder auch die groteske Diskrepanz zwischen der Modehungerei und dem Hunger in den Kriegsjahren und im KZ, von dem Edek nur in einzelnen Worten erzählt,
Wie gesagt, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Bonmots wird hier gearbeitet.
Macht Spaß und Freude und trocknet dem Zuseher keineswegs das Hirn aus.
Ich bin sehr glücklich, dass ich es doch noch geschafft habe, Karten zu ergattern.
© evelyne w.
Chuzpe – Kammerspiele Wien – mit Szenenfotos
Vielen Dank liebe Lintschi für den Einblick in diese Aufführung. Sie hätte mir sicher auch gut gefallen, so wie Du sie beschreibst und Otto Schenk mag ich ohnehin. Ich kann ihn mir in der Rolle direkt vorstellen, wie er sie spielt.:-)
Hab vielen Dank und liebe Grüße
Fini
ja, ich glaube auch, dass dir das gefallen hätte.
aber auch das buch ist absolut lesenswert. wenn man schon nicht ins theater kommt …
schönes wochenende!
da beschreibst Du etwas mir gänzlich Unbekanntes. Muß mal nachlesen. Hört sich so interessant an, wie Du hier erzählst. LG von mir
liebe bruni,
wien ist ja wohl zu weit weg, aber ich kann auch das buch sehr empfehlen! wie auch andere bücher von lily brett. wie gesagt, nur nicht das neue 🙁
schönen sonntag!
wünscht dir die lintschi
aus jeder Zeile ist zu lesen, wie sehr du die Aufführung genossen hast
und auf den Szenenfotos sieht man die Spielfreude der DarstellerInnen, finde ich
bei Schenk musste ich an Tevje aus Antatevka denken 😉
lieben Gruß
Uta
ja endlich einmal wieder so ein richtig entspannender theaterabend.
wo nicht irgendein regisseur sich auf kosten des publikums und der schauspieler selbst verwirklichte.
und es ist ja unglaublich, wenn man diesen alten herrn auf der bühne erlebt.
83 ist er und tritt derzeit in 3 oder 4 verschiedenen stücken und mehrmals die woche auf. wenn ich denke, dass ich mir nicht einmal meinen einkaufszettel merke …