frivolities I/II – das familienfest

 
das familienfest

II. resümee

es war ein schönes fest.
alle saßen unter dem nussbaum an dem langen tisch, der so üppig geschmückt war mit blumen und sternen aus unseren träumen und den früchten, die wir so sehr mögen. die dunklen trauben ließen das schäumen ihres blutes ahnen.
nach dem essen lehnte ich mich genüsslich zurück und naschte von dem schönen käse und dem würzigen schwarzbrot, das du mir in kleinen stückchen in den mund schobst. der rotwein zimtete ganz leicht und erinnerte mich an mondscheinnächte, an unsere picknicks auf dem holzsteg über dem see. der duft von frischem schlamm schwindelte sich in meine nase.

ganz besonders erfreute mich onkel herrmanns kleine malteserhündin saschki, die so gern bei meinen füßen lag und zu der du dich immer wieder hinabbeugtest, um sie zu streicheln, so lange und so oft, dass meine uns gegenübersitzende mutter plötzlich fragte:
meine tochter, warum stöhnst du?

es war eine gute entscheidung gewesen, neben deiner rechten hand zu sitzen.

© evelyne w.

 

frivolities I/III – das familienfest

 
das familienfest

III. der tiger

ich sah ihn, als cousin jonas sich zu mir herabbeugte, um mich zum abschied zu küssen. an seiner etwas kratzigen wange und seinem ohr vorbei, sah ich ihn auf dem saum des weinbergs unruhig auf und ab laufen. hin und her, her und hin. geschmeidig und seine kraft erahnen lassend, mit edlen nervös zuckenden flanken.
der tiger.
er wandte mir die augen zu und in ihrem flackern erkannte ich sofort mein schicksal. in meinem unterleib machte sich ein süßes ziehen bemerkbar und ich schob cousin jonas rasch von mir und sprang auf. so rasch, dass meine mir gegenübersitzende mutter sagte:
meine tochter, du willst doch nicht schon gehen?
ich muss, sagte ich, und zwar sofort!

langsam gingen wir nebeneinander her. seine samtweichen, elastischen schritte konnten mich nicht täuschen. wir sprachen kein wort, denn ich spürte, meine stimme würde mich verraten und er würde sich sofort auf mich stürzen, wenn er nur das leiseste signal erhielt. das opferlamm meines fleisches zitterte, nur mühsam verborgen.

eine kleine gruppe bunt gekleideter menschen querte unseren weg. wir mussten stehen bleiben, ich seufzte unwillkürlich und wie ich es gewusst hatte, stürzte er sich sofort auf mich. mit einem einzigen prankenschlag riss er mir das kleid herunter. noch wollte er ein wenig spielen mit der beute, zog seine krallen ein, strich zärtlich mit der pfote über meine brust und versuchte, wie ein kleines kätzchen an ihr zu saugen.
doch ich warf den kopf zurück und bot ihm meinen hals. da war für ihn das spiel zu ende, tief schlug er seine zähne in mich. kein schrei entkam meinen lippen. eins sein, eins sein mit dem tiger, war mein wunsch und glücklich schluchzend ließ ich mein heißes blut in ihm verrinnen.
ich öffnete die augen, wollte sehen, ob sein blick von meiner aufgerissenen nacktheit trank. siegessicher flackerte er über die fährte, die er selbst legte, schnuppernd und leckend folgte er ihr, für mich fast unerträglich langsam.
komm endlich! stöhnte ich. teile mich mit deinen stößen. und wenn du mich zerreißt, werden alle stücke einzeln, sich doch wieder nur nach dir sehnen.

zärtlich leckte der tiger meine wunde sauber, ganz langsam begann die knospe der liebe wieder rosig zu erblühen, ich lieferte mich ihm ganz aus und ließ mich fallen.

meine tochter! meine tochter, um gottes willen!
schrie meine mir gegenübersitzende mutter.
ich war doch glatt vom stuhl gefallen.

ach liebster, wenn ich mich dir, nicht einmal auf einem familienfest, mehr entziehen kann, was soll nur aus mir werden?

© evelyne w.

familienfest - audio

 

vermalt

 

sie malen in mein gesicht. auf meine augen ein blind. auf meinen mund ein stumm. versuchen den schädel zu öffnen. zähfarbigen tod in mein gehirn zu gießen. doch ich blitze ein grün und speie ein rot. male mein leben. und schließe die ausstellung.

© by evelyne w.