frivolities I/III – das familienfest

 
das familienfest

III. der tiger

ich sah ihn, als cousin jonas sich zu mir herabbeugte, um mich zum abschied zu küssen. an seiner etwas kratzigen wange und seinem ohr vorbei, sah ich ihn auf dem saum des weinbergs unruhig auf und ab laufen. hin und her, her und hin. geschmeidig und seine kraft erahnen lassend, mit edlen nervös zuckenden flanken.
der tiger.
er wandte mir die augen zu und in ihrem flackern erkannte ich sofort mein schicksal. in meinem unterleib machte sich ein süßes ziehen bemerkbar und ich schob cousin jonas rasch von mir und sprang auf. so rasch, dass meine mir gegenübersitzende mutter sagte:
meine tochter, du willst doch nicht schon gehen?
ich muss, sagte ich, und zwar sofort!

langsam gingen wir nebeneinander her. seine samtweichen, elastischen schritte konnten mich nicht täuschen. wir sprachen kein wort, denn ich spürte, meine stimme würde mich verraten und er würde sich sofort auf mich stürzen, wenn er nur das leiseste signal erhielt. das opferlamm meines fleisches zitterte, nur mühsam verborgen.

eine kleine gruppe bunt gekleideter menschen querte unseren weg. wir mussten stehen bleiben, ich seufzte unwillkürlich und wie ich es gewusst hatte, stürzte er sich sofort auf mich. mit einem einzigen prankenschlag riss er mir das kleid herunter. noch wollte er ein wenig spielen mit der beute, zog seine krallen ein, strich zärtlich mit der pfote über meine brust und versuchte, wie ein kleines kätzchen an ihr zu saugen.
doch ich warf den kopf zurück und bot ihm meinen hals. da war für ihn das spiel zu ende, tief schlug er seine zähne in mich. kein schrei entkam meinen lippen. eins sein, eins sein mit dem tiger, war mein wunsch und glücklich schluchzend ließ ich mein heißes blut in ihm verrinnen.
ich öffnete die augen, wollte sehen, ob sein blick von meiner aufgerissenen nacktheit trank. siegessicher flackerte er über die fährte, die er selbst legte, schnuppernd und leckend folgte er ihr, für mich fast unerträglich langsam.
komm endlich! stöhnte ich. teile mich mit deinen stößen. und wenn du mich zerreißt, werden alle stücke einzeln, sich doch wieder nur nach dir sehnen.

zärtlich leckte der tiger meine wunde sauber, ganz langsam begann die knospe der liebe wieder rosig zu erblühen, ich lieferte mich ihm ganz aus und ließ mich fallen.

meine tochter! meine tochter, um gottes willen!
schrie meine mir gegenübersitzende mutter.
ich war doch glatt vom stuhl gefallen.

ach liebster, wenn ich mich dir, nicht einmal auf einem familienfest, mehr entziehen kann, was soll nur aus mir werden?

© evelyne w.

familienfest - audio

 

2 Gedanken zu „frivolities I/III – das familienfest“

    1. liebe mo,

      wie freue ich mich über deine meinung!
      ich grinse oft, wenn ich daran denke, was sich alles so hinter den gezeigten fassaden abspielt …
      und es ist eine herausforderung für mich, es so zu schreiben, dass die fassaden noch stehen bleiben.

      sonnige grüße
      lintschi

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