wundgelebt

 

wundgelebt

ja
ich sauge dich aus
sauge meine worte aus deinem blut
sauge mein blut aus deinen worten

ich giere
nach dem absinth deiner gedanken
lecke letzte tropfen
auf allen vieren kriechend
aus den ecken der erinnerung
taumle durch die gänge
der schweigsamkeit
auf der suche nach deinem samen
in der bitteren neige

und mein leben
lebt nur
in alten wunden

© evelyne w.

 

wundgelebt - audio

Dementia-Poetry – Die Idee III. – Ergänzung

 

Immer wieder werde ich darauf angesprochen, dass einerseits so viele Wiederholungen in den Gedichten sind. Knapper wäre besser, meinen Viele. Andererseits sind die Geschichten so nett, aber da könnte man noch viel mehr hineinpacken.
Es „fehlt“ den Lesern so manches. Und meine Autorenkollegen hätten viele gute Ideen zur Ausschmückung.

Ich glaube, hier zeigt sich ein wesentlicher Punkt, warum so viele Menschen Probleme mit Demenzkranken haben. Weil sie immer von der eigenen Warte ausgehen.
Auch hier noch immer, obwohl ich versucht habe, mein Projekt und seine Zielgruppe so gut als möglich zu erklären.

Umso länger diese Geschichten dauern, umso mehr beschrieben wird, umso weniger können die Dementen folgen! Sie hören ja nicht zu, in diesem Sinn. Also die Geschichte, die erzählt wird, ist dabei unerheblich.
Es geht um Worte, Begriffe, die etwas in den Hörern auslösen. Aber eben immer nur vereinzelte Worte. Dieses Wort löst einen Ablauf in ihnen aus. Aber es nützt nix, einen Ablauf zu beschreiben. Sie haben ihre eigenen Abläufe dafür.
Das ist ja die Schwierigkeit dabei, Demente zu verstehen … wichtiger Bestandteil jedes Validationsprogramms.

Wie schon oft ganz deutlich geschrieben, ist es für mich sehr wichtig, dass Demenzkranke nicht wieder zu Kindern gemacht werden. Und gerade hier liegt ein wesentlicher Unterscheidungspunkt. Der für das Verständnis so unbedingt wichtig ist:

Kinder müssen erst lernen. Man kann ihnen etwas erzählen, das sie noch nicht kennen oder so noch nicht kennen, sie nehmen ihre Fantasie und bauen sich ein Filmchen. Umso mehr man erzählt, umso mehr können sie vielleicht dazu basteln. Sie lernen aus dem, was ihnen erzählt wird und aus ihrer Fantasie.

Bei Dementen gibt es keine Fantasie, sondern Erinnerung. Eigene Erinnerung!
Sie basteln keinen Film aus dem, was man ihnen erzählt, sondern aus dem was sie in sich finden.

Deshalb hat es keinen Sinn, ihnen Abläufe vorgeben zu wollen, Sie verwirren diese Menschen nur.

Begriffe müssen abgerufen und angesprochen werden und es muss ihnen Zeit gegeben werden, diese auch wirklich in sich zu finden und zuzuordnen. Umso mehr man darum baut, umso weniger können sie diese wichtigen Worte finden …

Es ist also kein Regress ins Kinderstadium, sondern eine Entwicklung, die aus ihren Lebenserinnerungen abgerufen wird! Selbst wenn sie sich vermehrt an ihre Kindheit erinnern, dann ist der Prozess aber ihrem Alter und ihrer Krankheit entsprechend und nicht dem Kinderstadium! Deshalb muss man mit diesen Menschen anders umgehen als mit Kindern, darf sie nicht zurückstufen, und dadurch herabwürdigen!

Und unter diesen Gesichtspunkten schreibe ich diese Texte.

Ich wiederhole, nicht weil mir nichts anderes einfällt und ich schmücke meine Geschichten auch nicht deshalb nicht aus, weil mir die Fantasie fehlt oder ich keinen größeren Wortschatz habe, sondern weil dies das Besondere an diesen Texten sein muss. Sonst könnte ich ja auch einfach nette Kurzgeschichten aus früheren Zeiten oder Kurzlyrik mit Erinnerungspotential verfassen.

Feedback zu diesen Texten ist ausdrücklich erwünscht! Und gerne auch Kritik! Aber bitte die vorgenannten Punkte dabei zu berücksichtigen, Kürzungen in den Gedichten oder Ausschmücken der Geschichten anzuregen, sind kein hilfreicher Kritikpunkt.

Danke!

 

Writer’s Life in miniatures III.

 

In der Schublade

Ich bin nicht so gut. Wie ich gern wäre. Damit komme ich gut zurecht.
Doch manchmal raubt es mir den Atem. In der Schublade. In die ich gern gesteckt werde. Tummeln sich oft seltsam anmutende Gestalten. Sind nicht einmal so gut wie ich. Doch haben Attitüden. Hängen den Profi in den Wind. Der von den Bergen bläst. Den sie nicht kennen.
Viel Geld wurde bezahlt. Für Keine-Qualität. Für eine Illusion. Für ein Spiegelbild. Das ein Foto zeigt. Von der Wand der eigenen Galerie.

Dann mache ich ein saures Bäuerchen. Und schon wird wieder Luft. Im Karton. Weil sich der Deckel hebt.
Wenigstens bin ich Profi. Es gibt kein Irgendwie. Kein Unter-allen-Umständen. Kein teures Pflaster für das Ego.
Besser werde ich dadurch nicht. Nicht so gut. Wie ich gern wäre. Doch damit komme ich gut zurecht.

 

Dementia Poetry – Die Idee II.

 

Memory in miniatures

Bei der geistigen Vorbereitung einer Lesung bin ich auf eine weitere Facette gestoßen. Es gibt in diesem Hörerkreis Menschen in unterschiedlichen Stadien der Demenz.
Man darf also nicht alle auf das fortgeschrittenste Stadium reduzieren. Es muss auch für die anderen etwas angeboten werden.
Die weiter fortgeschrittenen Personen werden dabei einerseits einfach als Anwesende integriert. Können aber vielleicht sogar ebenfalls noch mit dem Vortrag, oder einzelnen Erinnerungsworten angesprochen werden.

Deshalb werde ich meine Dementia-Poetry-Serie um eine Sparte erweitern:
Die Memory-Miniaturen = MemMinis.

Es handelt sich dabei um kurze einfache Prosatexte, die sich mit Erinnerungen aus längerfristig zurückliegenden Situationen beschäftigen.
Um den Bogen besser vom Vortragenden zum Hörer schaffen zu können, wähle ich als perspektivischen Eingangssatz:
„Als ich ein Kind war …“

 

DemPoem No. 6 – Waschtag ist!

Und auch heute eine kleine Hilfestellung: Waschrumpel
.

Waschtag ist!

In der Waschküche
dampft es warm
Im Kessel kocht
die Wäsche

Wir gießen sie
in den Waschtrog
Und krempeln uns
die Ärmel hoch

Und wir waschen
und reiben
die Wäsche im Waschtrog

Was nicht gekocht wird
muss gerumpelt werden
Dafür nehmen wir
die Waschrumpel

Und wir waschen
und rumpeln
die Wäsche im Waschtrog

Dann holen wir
die Kinder rein
und stellen sie
in den Waschtrog

Und wir waschen
und baden
die Kinder im Waschtrog

Und dann
auch noch uns

© evelyne w.

waschtag ist - audio

 

In der Umarmung des Alters X.

 

Das Wichtigste

„Du kannst leicht reden“, sagt sie. „Du bist gesund und gut verheiratet. Hast keine Sorgen. Da kann man gut alt sein.“
Kann man das?
Ja, das kann man. Ich weiß es.
Aber wieso machen es dennoch so wenig andere?

„Gesundheit ist das Wichtigste“, sagt sie.
Aha, denke ich. Da scheiden sich schon unsere Geister.
„Zufriedenheit“, sage ich. „Zufriedenheit ist das Wichtigste.“
Sie schüttelt den Kopf. „Ohne Gesundheit ist alles nichts.“

„Faschistoid“, sage ich. „Ist dieser Gedanke.“ Und spüre, wie die Jugend in mir hochdrängt. Als Kämpfergeist für all die Kranken. Deren Leben dadurch pauschal abgewertet wird.

„Und dein Mann. So einen findet man selten. Da hast du viel Glück gehabt“, sagt sie.
Gehabt? Frage ich mich. Und bin glücklich.
„Zufriedenheit“, sage ich. „Zufriedenheit macht glücklich.“
Sie schüttelt den Kopf. „Aber wenn man keinen solchen Mann hat.“

„Nicht jede war mit ihm glücklich“, sage ich. Und spüre wie die Jugend in mir hochdrängt. Als Egoismus. Diesen Mann lieben zu wollen. So wie er ist.

„Hast keine Sorgen“, wiederholt sie.
Nicht? Denke ich. Und an meinen Alltag voller Ansprüche. An mich.
„Zufriedenheit“, sage ich. „Zufriedenheit schafft viele Sorgen aus der Welt.“
Sie schüttelt den Kopf. „Aber wenn man kein Geld hat.“

„Geld bringt Sorgen in die Welt“, sage ich. Und spüre wie die Jugend in mir hochdrängt. Als ich mit sehr viel weniger genauso glücklich war, wie ich es heute wieder bin.

Demut breitet sich in mir aus. Weil ich nach all den Jahren auf der Jagd nach Gesundheit, Partnerschaft und Geld zu der Erfahrung fand:
Zufriedenheit ist das Wichtigste.
Und glücklich alt werden kann.

 

wintersonne

wintersonne

 

wintersonne

hier ist das glück
der tag ist mein

die wintersonne
leckt den himmel blassblau
mildert den frost
zu milchiger kühle
badet glitzernde schleier
im frierenden see
zärtelt die reben
zu kupfernem gespinst

und ich trinke die milch
und ich trinke das glück

und ich spinne das kupfer
zu rotglühenden netzen
die dich umfangen

der tag ist mein!

© evelyne w.

 

Jackpot – Wiener Kammerspiele, 25.1.2012

 

Jackpot von Réjane Desgives
in der Übersetzung und unter der Regie von Igor Bauersima

Vier Freundinnen treffen einander regelmäßig im Park.
Ines, hochschwangere Mutter von bereits mehreren Kindern,
Nathalie, Fernsehmoderatorin mit einem Sohn und
Ella, die unverheiratete Blondine, deren Leben sich bisher zwischen Liebschaften mit Chefs und Sugardaddys bewegt hat.
Dazu kommt die telefonierende, charismatische Vivi, junge Mutter mit siebenmonatigem Söhnchen, dessen Vater sie den Freundinnen nie verraten hat.

Sie bittet die Freundinnen, auf ihren Sohn aufzupassen, weil sie dringend zum Zahnarzt muss.
Während ihrer Abwesenheit findet Ella im Kinderwagen eine Karte, aus der sie schließt, dass Vivi ein Verhältnis mit dem Eisverkäufer im Park-Kiosk hat. Da sie selbst seine schwerverliebte Freundin war, versteckt sie in ihrer Wut den Kinderwagen und will der Nebenbuhlerin einen Schreck einjagen, indem sie erklärt, dass das Söhnchen gekidnappt wurde.
Als die junge Mutter zurückkommt, hat sie infolge einer Allergie einen Gehörausfall, kann nur schwer sprechen und der versteckte Kinderwagen ist tatsächlich leer.

Es kristallisiert sich heraus, dass Ella, Nathalie und Ines mit dem Eisverkäufer Jack ihre sexuellen Abenteuer hatten, dass sogar das Kind, mit dem Ines schwanger ist, von ihm ist.
Es kommt zu hysterischen Anfällen und Schlagabtäuschen und zu guter Letzt eröffnet sich, dass Vivis Liebhaber ein bekannter amerikanischer Serienheld ist, der just an diesem Tag endlich geschieden wurde, was sie ihren Freundinnen erzählen wollte – ihr aber der Zahnbruch dazwischen kam. Ella hatte in ihrer Eifersucht etwas Falsches aus der Karte herausgelesen.
Da Vivi bei ihrem etwas hektischen Aufbruch das Handy mit offener Leitung im Kinderwagen liegen ließ, hatte dieser die ganze Intrige gehört und Vivi benachrichtigt. Diese wiederum hatte Jack geschickt, um den Sohn in Sicherheit zu bringen.
Ella kriegt ihren Freund zurück und Ines vor lauter Aufregung ihr Kind – den „Jackpot“. Und alle sind wieder befreundet.

Die Geschichte ist, wie man unschwer herauslesen kann, einigermaßen überzogen. Doch sind die Kammerspiele ja eine Boulevardbühne und dafür war das Stück bestens geeignet.

Ich habe mich köstlich unterhalten.
Die Dialoge waren echt witziger Screwball. Die Spielfreude der vier Damen ansteckend.

  • Sona MacDonald (Ines) – ein durch Neid und Eifersucht langsam fallender Friedensengel
  • Hilde Dalik (Ella) – ein personifizierter Blondinenwitz vom Feinsten,
    in atemberaubenden High-Heels 😉
  • Alexandra Krismer (Nathalie) – die herrlich Fassaden-bröckelnde Intellektuelle
  • und Silvia Meisterle (Vivi) – als sich auch selbst amüsierende Marionettenspielerin
  • boten mir wirklich einen vergnüglichen Theaterabend.

    Das Bühnenbild, ebenfalls von Igor Bauersima, ist stimmig, jedoch bleibt unklar, warum in diesem Park keine Bänke aufgestellt wurden und die Damen auf einer Stufe sitzen müssen, sodass man ihnen allen bis auf die Unterhose unter die Röcke sieht.

    Hier der Link zu den Kammerspielen – mit Szenenfotos
    Und dann habe ich auch noch einen kurzen Videobeitrag des ORF dazu gefunden