In der Umarmung des Alters X.

 

Das Wichtigste

„Du kannst leicht reden“, sagt sie. „Du bist gesund und gut verheiratet. Hast keine Sorgen. Da kann man gut alt sein.“
Kann man das?
Ja, das kann man. Ich weiß es.
Aber wieso machen es dennoch so wenig andere?

„Gesundheit ist das Wichtigste“, sagt sie.
Aha, denke ich. Da scheiden sich schon unsere Geister.
„Zufriedenheit“, sage ich. „Zufriedenheit ist das Wichtigste.“
Sie schüttelt den Kopf. „Ohne Gesundheit ist alles nichts.“

„Faschistoid“, sage ich. „Ist dieser Gedanke.“ Und spüre, wie die Jugend in mir hochdrängt. Als Kämpfergeist für all die Kranken. Deren Leben dadurch pauschal abgewertet wird.

„Und dein Mann. So einen findet man selten. Da hast du viel Glück gehabt“, sagt sie.
Gehabt? Frage ich mich. Und bin glücklich.
„Zufriedenheit“, sage ich. „Zufriedenheit macht glücklich.“
Sie schüttelt den Kopf. „Aber wenn man keinen solchen Mann hat.“

„Nicht jede war mit ihm glücklich“, sage ich. Und spüre wie die Jugend in mir hochdrängt. Als Egoismus. Diesen Mann lieben zu wollen. So wie er ist.

„Hast keine Sorgen“, wiederholt sie.
Nicht? Denke ich. Und an meinen Alltag voller Ansprüche. An mich.
„Zufriedenheit“, sage ich. „Zufriedenheit schafft viele Sorgen aus der Welt.“
Sie schüttelt den Kopf. „Aber wenn man kein Geld hat.“

„Geld bringt Sorgen in die Welt“, sage ich. Und spüre wie die Jugend in mir hochdrängt. Als ich mit sehr viel weniger genauso glücklich war, wie ich es heute wieder bin.

Demut breitet sich in mir aus. Weil ich nach all den Jahren auf der Jagd nach Gesundheit, Partnerschaft und Geld zu der Erfahrung fand:
Zufriedenheit ist das Wichtigste.
Und glücklich alt werden kann.

 

6 Gedanken zu „In der Umarmung des Alters X.“

  1. Absolut Lintschi. Die Zufriedenheit ist der Schlüssel zum Glück und ich behaupte, jeder ist im Besitz dieses Schlüssels, aber benützen muss man ihn schon selbst.
    Mein Motto war schon Immer: „Glück liegt in der eigenen Zufriedenheit“ und diese kann man weder kaufen, noch kann man diese von einem anderen Menschen erwerben. Sie liegt schlicht und einfach in einem selbst. Natürlich dürfen wir von anderen Mitmenschen Bausteine/Erfahrungen annehmen. Diese machen gewiss auch einen Teil des Wegweisers zur Zufriedenheit. Mit ein bisserl mehr Demut kann sie meiner Meinung nach jeder Mensch erlangen.
    Deine Zeilen sind großartig.
    Vielen Dank dafür.
    Lg
    Fini

  2. Ja, Lintschi, da stimme ich voll mit Dir überein! Wie wenig Menschen sind zufrieden mit dem, was sie haben. Ich denke auch, Dankbarkeit und Zufriedenheit kann man lernen. Mir gefällt Dein Geschichtchen dazu sehr gut!

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