Die Schreibtischtäter V. – Widerstand

Der wichtigste Widerstand ist
der Widerstand der Gedanken

evelyne w.

V. Widerstand
 

Den Schreibtischtäter haben wir nun einigermaßen enttarnt.
Man könnte ihn nun getrost seinem Schicksal überlassen. Er könnte schreiben, bis seine Finger wund wären und nichts würde geschehen.

Doch ich begann meine Abhandlung ja mit den Worten:

Wie konnte das passieren?
Wie konnte ein kleiner, seltsamer, offensichtlich psychisch verformter Mann die Welt in sein krankes Denken ziehen und sie in diesen furchtbaren Abgrund stürzen

Ja, wir haben den Schreibtischtäter entlarvt.
Aber leider werden seine Leser meinen Bericht nicht lesen.

Und leider kommt nun der Teil meiner Erfahrung, der mich fassungslos machte.

Ich musste miterleben, wie Leser sich mit solchen Ergüssen plötzlich solidarisch zeigten. Und dies in einem Atemzug mit der Verkündung, gegen Gewaltverherrlichung zu sein, mit Brutalitäten nichts am Hut zu haben und den Rechtsradikalismus zu verurteilen.

Weil das verhängnisvolle Phänomen auftrat, das ich schon beschrieben habe. Die Menschen sehen nur eine Seite der Medaille. Und zwar jene, die ihnen Unterstützung in ihren Ängsten bietet.

Um welche Ängste geht es nun hier überhaupt?

Die größte Angst hat der Mensch vor seiner eigenen Grausamkeit, die ja in jedem Menschen vorhanden ist, wie schon vorher geschrieben. Sie kann ihm nämlich den größten persönlichen Schaden zufügen. Nicht die Bösartigkeit Anderer sondern die eigene!
Ich könnte hier nun neuerlich eine Abhandlung über die Achse Selbstliebe/Liebe einfügen, aus der diese Angst vor der eigenen Bösartigkeit genährt wird, möchte aber das Thema nicht noch weiter verbreitern. Wen eine genauere Erklärung zu diesem Punkt interessiert, der findet sie in meinem Buch „Lerne.Selbst.Lieben“.

Hierher stelle ich deshalb diese Aussage nur als Faktum.

Die eigene Gewaltbereitschaft, von der das Unterbewusstsein jedes Menschen weiß, dass sie immer ihm selbst schadet, erzeugt eine Angst, die er auf Bewusstseinsebene auf reale Ängste umlegt.
Und zwar auf diese, die ihm als existentiell im Blickpunkt liegen. Also z. B. jene vor der Arbeitslosigkeit, vor dem damit einhergehenden Verlust von Lebensqualität, weitergehend zu Armut, Hunger und Not. Oder vor der Schutzlosigkeit des Einzelnen, was DIE Urangst des Menschen ist. Weil er ein Herdenwesen ist, das sich seiner Abgetrenntheit von der Herde bewusst ist. Deshalb die große Angst des Menschen, dass er sich durch Bösartigkeit von der Herde selbst abtrennt.
Über diese Angst kann man logischerweise die allermeisten Menschen manipulieren.

Deshalb lesen Menschen oft – wie Querleser – nur die Punkte, die sich darauf beziehen, diese Ängste in irgendeiner Form in den Griff zu kriegen.
Was bedeutet, dass sie nur das Böse wahrnehmen, das auf Andere hinweist.
Ein sicher sehr bekanntes Muster, dass der Mensch um von sich abzulenken, auf Andere weist.

Also achtet er nur darauf, dass ihm jemand den Arbeitsplatz streitig macht, oder seine Kinder bedroht und dgl.
Aber nicht darauf, dass jemand ihn auffordert, zum Täter zu werden. Denn das würde ja bedeuten, dass er seine eigene Grausamkeit akzeptieren und sich dafür verantwortlich zeigen müsste, indem er zustimmt oder nicht. Dazu kommt, dass er sich in der Menge Gleichgesinnter ein trügerisches Sicherheitsgefühl aufbaut.

Und hier schließt sich der Kreis.
Wenn nun ein Schreibtischtäter auf einen nicht aufgeklärten Leser trifft, dann kann er ihn wunderbar manipulieren.

Und das musste ich miterleben. Und zwar in einer Form, die zeigte, wie sich innerhalb kürzester Zeit diese Manipulation zu einer Welle verdichtete und Andersdenkende und aufklärend Argumentierende persönlich verhöhnt und denunziert wurden (die Bezeichnung „Welle“ ist nicht von ungefähr gewählt, lehnt sich mit Absicht an den gleichnamigen Film an, der eine solche Dynamik in einem Experiment aufzeigte).
Was mich daran ganz besonders betroffen gemacht hat war, dass es sich nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, um ungebildete Leser handelte, sondern um ein Publikum, das sich ebenfalls zur denkenden Elite zählte. Nämlich weitere Autoren.

Den Rest können wir uns nun an den Fingern einer Hand abzählen. Wohin dies schneller führen kann, als jemand auch nur denken möchte.
Wenn Vordenker zu wenig nachdenken und sich der Masse anschließen, von der sie sich eigentlich distanzieren, bzw. über die sie sich erheben wollen.
Wenn Warner zu Feindbildern gemacht werden, um die trügerische Solidarität zu fördern.
Dann hat bald niemand mehr etwas GEGEN das Böse zu setzen.

Und hinterher wird man fragen:
Wie konnte das geschehen?

Die Antwort: Weil ALLE daran beteiligt waren, die dem Bösen keinen Widerstand boten.
Doch das Böse ist nicht nur in den Taten Anderer zu finden, sondern auch im eigenen Rachegefühl.
Es ist wichtig, damit rechtzeitig umgehen zu lernen, damit nie wieder ein kleiner, seltsamer, offensichtlich psychisch verformter Mann die Welt in sein krankes Denken ziehen und in einen furchtbaren Abgrund stürzen kann.

 

Und dies ist das Anliegen meiner kleinen Textserie:

Zu versuchen, auf dem Wege der Aufklärung dazu beizutragen, dass Leser aufmerksam werden, wenn es in Texten um Gewalt und Hass geht. Es reicht nie, zu sagen, das habe ich nicht gewusst …
Weil nicht nur Autoren Verantwortung haben, das Böse nicht in die Welt zu tragen, sondern auch Leser, es nicht in ihre Welt zu lassen, und auf diese Weise zu verbreiten.
Denn dann verliert es die Macht von allein.
Und das ist mit Sicherheit der friedlichste Weg den es gibt.

© evelyne w.

– Ende –

 

14 Gedanken zu „Die Schreibtischtäter V. – Widerstand“

  1. liebe Lintschi
    bei allem was uns fassungslos macht, diese Erfahrungen, die wir beide teilen :-), es gibt einen positiven Aspekt. Wir kennen nun die Menschen ein Stück besser. Wir kennen die Freunde und wir kennen die Schweiger.
    herzlich zu Dir Ilona

  2. Ich habe die mehrteiligen Ausführungen zum Thema sowie die Kommentare dazu mit Interesse gelesen. sehe auch das Bedürfnis, den Bedarf und den Wunsch danach, Gewalt einzudämmen und nicht zu vermehren, wäre sie nicht Thema, dass künstlerisch ausgedrückt und bei Kritik am Werk vehement verteidigt würde. Dass dabei über alle Ziele hinausgeschossen wird, da das eigene Bild, der Text, welche Ausdrucksform auch immer, mit Klauen und Zähnen verteidigt wird, es vielleicht zu ganz blöden Äußerungen kommt, die man normalerweise nicht mal denken würde, ist durchaus möglich. Damit spreche ich deine Ausführungen zur Verhetzung, Aufruf zur Gewalt, Manipulation an. Sowas kann passieren, es ist übel, wenn es geschieht, da bin ich ganz bei dir. In anderen Dingen jedoch nicht. Denn der Wunsch nach Frieden, nach Gewaltfreiheit, nach Ruhe auf der Welt, im Kleinen wie im Großen, ist nachvollziehbar, aber, wenn ich so die Menschen betrachte, wahrscheinlich nicht mehr als ein frommer Wunsch.

    Natürlich bin ich der Überzeugung, dass Gewalt nur wieder Gewalt erzeugen kann, das steht außer Frage.
    Aber was bewegt Künstler, Gewalt darzustellen, das ist die Frage.

    Ich glaube nicht, dass die Gemeinheit, Brutalität, Gewalt der Menschen nur um ein Deut dadurch verändert wird, dass Künstler sie auf ihre Weise formulieren oder nicht. Dahin geht ja auch das Bedürfnis der Künstler nicht, denn jene, die es angehen würde, haben meist kein Interesse, sich etwas anzusehen, etwas zu lesen. Was also bewegt Künstler, Gewalt darzustellen?

    Das Bedürfnis, Gewalt jeglicher Art darzustellen, fußt vor allem darauf, sich zu äußern. Zu äußern, was Gewalt mit ihnen selbst macht, wütend, hilflos, verzweifelt, oder anderes mehr. Der Künstler ist Exhibitionist, sonst würde er ja seine Werke nicht zur Schau stellen, nicht wahr? Er muss und will sich zu allem äußern, was ihn bewegt. Er kann das nicht totschweigen, das ist nicht seine Art. Zudem ändert das Totschweigen von Gewalt (dem Thema der Texte hier), die von Anbeginn der Menschheit ausgeübt wird, leider nichts daran, dass sie immer noch ausgeübt wird. Überall. Daher bleibt dem Künstler (oder dem Schreibtischtäter) nur, sie wie alle menschlichen Taten, Untaten, wie Liebe, Sex, Hass, Verzweiflung, Wut auf seine Art auszudrücken. Denn das „menschlich/unmenschliche“ ist es ja, was uns bewegt. Sicher beschäftigen sich die Kreativen auch mit dem Schöngeistigen, der Natur in all ihren Formen, der romantischen Liebe usw. Die Faszination, den Menschen zu ergründen, ihn dazustellen in seiner Schecklichkeit, ist Triebfeder Künstler aller Sparten. Nicht nur für den hier erwähnten kleinen Mann, den Schreibtischtäter, nein, auch für die klassische griechische Tragödie, die Königsdramen Shakespeares, den Malern des Surrealismus, deren Urvater Hieronimus Bosch ist, in den Schlachtenbildern Francisco Goyas, Picassos, bei Michelangelo (siehe Sixtina) und Rodin. Auch die Moderne schöpft aus der menschlichen Gewalt, ich denke da an Philip Roth, T.C. Boyle, Quentin Tarantino, Michael Haneke. Sie alle versuchten und versuchen, mit dieser schrecklichen menschlichen Eigenschaft zurechtzukommen, indem sie sie auf die eine oder andere Art malen, aus Stein hauen, auf die Bühne bringen, verfilmen, niederschreiben, komponieren. Dass sie damit nichts ändern können, ist ihnen klar. Aber sie drücken sich damit aus, sie drücken damit aus: Sehr her, so sind wie Menschen! Leider sind wir so. Aber sie produzieren parallel dazu auch Herzbewegendes, Beglückendes. Alle. Sie brauchen auch ihren Trost so wie wir alle. Beides hat seine Berechtigung, da wir in einer Welt der Polarität, des Lichts und des Schattens leben.

  3. ich finde ebenfalls, dass gewalt in der kunst ihre berechtigung hat.
    das habe ich auch geschrieben.

    es ändert aber nichts an der tatsache, dass durch darstellung von gewalt noch keine verhindert wurde. und durch den aufruf menschen zu verfolgen und zu töten auch nicht.
    und durch einseitige propaganda schon überhaupt nicht.

    dort ist der springende punkt: dass sich schreiber anmaßen, sie damit „verhindern“ zu wollen, um ihre eigene unreife und den eigenen hass auf diese weise zu tarnen.
    und unter dieser tarnkappe zu sanktionen auffordern und gift versprühen.

    all das hat absolut nichts mit kunst zu tun!

    ein KÜNSTLER stellt gewalt auf die art dar, dass sie zum nachdenken anregt, wohin gewalt führt. aber er ködert doch nicht die niederen instinkte im menschen an, fordert doch nicht zu taten auf! für die er selber zu feig ist.

    shakespeare hat mit sicherheit tiefste menschliche abgründe dargestellt, aber doch nicht dazu aufgerufen, irgendwelche „täterschweine“ hinzurichten.

    da muss doch was im leser klingeln.

    wenn ein „künstler“ keine grenze zu persönlicher nichtverarbeitung ziehen kann, dann ist
    er eben kein künstler, sondern ein verhetzer. denn ein künstler würde diese grenze zu wahren wissen.

    das erinnert mich an die vielen psychotherapeuten, die ihre eigenen probleme auf dem rücken ihrer klienten abtragen wollen und ihnen auf diese weise nicht nur nicht helfen, sondern sie in weitere konfusionen stürzen.

    oder an die pornofilmer, die ihre „kunst“ mit dem auftrag zur sexuellen aufklärung rechtfertigen.

    auch muss man als leser doch den inhalt von der projektion des künstlers trennen.
    das kann man aber mit sicherheit nur, wenn man bestimmte indizien beachtet. denn die meisten kennt man ja nicht persönlich.

    und es gibt sie, diese indizien! immer wieder. aber viele leute wollen sie nicht sehen.

    DAS ist mein thema!

    ich danke dir für dein herkommen und deinen kommentar!

  4. meine güte, lintschi, ja.

    da schließt sich der kreis.

    ohne konkrete hintergründe kennen zu müssen, kann ich von vorn bis hinten deine textreihe (und im übrigen auch deine kommentare) hier nachvollziehen und unterschreiben. das noch mal abschließend quasi.

    danke!

    liebe grüße zu dir,
    deine diana

    1. danke liebe diana,

      ich bin froh, dass es mir offensichtlich gelungen ist, hier nicht persönliche ressentiments in den vordergrund zu stellen.
      das brauchte ich für mich …

      und natürlich super, wenn ich andere damit ebenfalls erreichen konnte.

      schönen sonntagabend!
      lieben gruß
      lintschi

        1. danke liebe diana,

          und nein, respekt brauchts keinen.
          nicht für etwas, das für mich so natürlich ist.

          aber selbstverständlich freue ich mich über deine zustimmung!

          lieben gruß
          lintschi

  5. „Hast du mir das Brot gefressen – nun fress ich dich“, sagte der 17-jährige Internierte in der Baracke des sowjetischen Arbeitslagers zur Ratte.

    Als er nach fünf Jahren nach Hause kam und später eine Familie gründete, erzählte er seinen Kindern nie etwas über den Mann aus Deutschland, der damals den Hass und die Rache der Sowjets auslöste

    Und er sagte nie etwas darüber, ob er selber jemanden hassen würde – trotz fünf Jahren Arbeitslager, ohne selbst im Krieg gewesen zu sein.

    Nur von der Freundlichkeit und Menschlichkeit der sehr armen ukrainischen Menschen.

    Liebe Evelyne, über diesen Menschen gäbe es noch so viel zu erzählen. Aber ich glaube das passt erstmal zur Botschaft Deiner Textserie. Ich Danke Dir dafür!

    Herzliche Grüße,
    Michael

    1. lieber michael,

      das ist eine wunderschöne geschichte, die wirklich sehr gut zum thema passt. danke dafür!

      und auch dafür, dass du meine textserie mit deinen kommentaren begleitet und mich so auch immer zum nachdenken angeregt und weitergetragen hast.

      es ist wirklich schön, dass wir einander in den weiten des internets „getroffen“ haben …

      herzlich
      evelyn

  6. Wie schon einmal, hat versspielerin mir aus der Seele geschrieben. Besser hätte ich es nicht in Worten posten können. Danke versspielerin, danke Lintschi.
    Ein Danke auch an Michael für seine berührende, wunderschöne Botschaft.
    Liebe Grüße
    Fini

    1. liebe lintschi,

      ich habe – aus dir bekannten gründen – erst heute alle teile deiner ausführungen lesen können.
      abgesehen davon, dass ich die texte wieder ganz großartig geschrieben finde, sollst du wissen, dass ich auch bedingungslos hinter dem inhalt stehe.

      sehr nachdenklich,
      deine mo,
      die nicht länger am pc „sitzen“ darf …

      1. danke liebe mo,

        ich freue mich sehr, dass du dir diese zeit genommen hast, obwohl ich weiß, dass es gerade nicht sehr leicht ist, das durchzu“sitzen“.
        und ich danke dir sehr dafür,
        weil es wichtig ist, wenn sich viele menschen positionieren.
        und sich auch deshalb andere orientieren können, als wenn das jeder nur für sich im stillen kämmerlein macht.
        obwohl ich über jeden einzelnen sehr froh bin, der es zumindest dort macht!!!

        baldigste besserung
        wünscht dir
        deine lintschi, die mit dir mitleidet …

    2. ja, finilein,
      auch zu dir … dank brauchts keinen!

      ich brauchte diese auseinandersetzung für mich und es ist gut, wenn man dann schreiben kann.
      und ICH bin dankbar, dass es menschen gibt, die ich damit erreichen konnte und die auch wachsam sind.
      das gibt kraft! uns allen! weil man dann weiß, dass man nicht allein ist.

      alles liebe!
      lintschi

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