Gedanken über die Angst – II. Macht braucht Angst

 
II.

Ein immer wieder eingebrachtes Argument ist, dass ein Mensch meint, er sei kein Herdenwesen, weil er die Herde meidet, sich lieber von ihr absondern will.
Aber so geht das leider nicht. Er ist und bleibt ein Herdenwesen, weil er als solches „angelegt“ ist (von wem auch immer 😉 )
Damit hier kein Missverständnis entsteht. Die Herde des Menschen ist die Menschheit. Bei ihm müssen nicht viele (Schafe oder Lemminge) an einem Ort zusammengeschart sein.

Aber noch einmal: Ein Mensch ist ohne andere Menschen ein Samenkorn in der Wüste. Er könnte nicht existieren. Er hätte keine Zukunft und keine Vergangenheit.

Das Verhängnis dabei ist, dass Menschen ihre Individualität damit an der falschen Seite aufzäumen wollen.

Sich von der Herde bewusst trennen zu wollen, ist eigentlich kein Zeichen für Individualität, sondern eher für Abgrenzung und Abgrenzung birgt die große Gefahr einer neurotischen Einfärbung. Also meistens ist schon hier Angst im Spiel.

Wichtig für den Menschen wäre es, seine Individualität und sein Herdenwesen jeweils dort anzunehmen, wo sie für ihn wesensgerecht sind.
Leider funktioniert dies in unserer Gesellschaft eher umgekehrt.

Da wir unser Bewusstsein auf den falschen Ausgangspunkt lenken, geben wir im individuellen Verantwortungsbereich die Verantwortung an die Gemeinschaft ab und im gemeinschaftlichen Bereich wollen wir individuelle Bedürfnisse abdecken.

Und wieder: Das ist uns anerzogen!
Meistens unbewusst. Unsere Eltern erziehen uns – zumindest üblicherweise – nicht mit Absicht in diese Richtung. Es ist eine Sache der Dynamik. Sie wurden selber, wie auch die Generationen vor ihnen, bereits auf diesen Weg gebracht.

Aber: Es gibt auch Menschen, die das erkennen und für sich ausnützen. Diese wissen wohl eher auch nicht, warum sie das machen! Sie haben nur selber eine andere Konditionierung ihrer Angst. Deshalb brauchen sie Macht. Und können auf der anderen Seite ihre Ängste perfekt ausblenden, bzw. verdrängen.

Jeder Machthaber handelt aus Angst! Jeder Mörder!
Kriminalität entsteht aus Angst!

Wie ich schon eingangs schrieb: Jeder Mensch hat Angst. Und so gut wie jeder glaubt, er könne sie mit Macht vermindern. Deshalb suchen Menschen immer wieder Gleichgesinnte, als Ersatz der ganzen Herde. Wo sich diese dann ihre Gemeinschaft suchen, also z.b. im Kreis von Kriminellen, Grufties, Spirituellen oder Wohltätern, bleibt ihnen und ihrer Konditionierung überlassen. Und natürlich auch wieder ihren eventuellen neurotischen Störungen.

Das kann man doch sehr oft erkennen. Die Oppositionellen, Unangepassten passen sich nur einer anderen Gruppe an.
Skinheads z.B. unterliegen ebenfalls einer bestimmten Strukturierung ihrer „Herde“ und treten nur vordergründig gegen Angepasstheit auf.

Selbst Menschen, die sich ganz weit zurückziehen, suchen Menschen, die ihre Lebensweise zumindest bestätigen.
Wenn jemand sich so weit zurückzieht, dass er keinerlei Reflektion mehr sucht, ist er üblicherweise sehr schwer psychisch krank.
Muss aber nicht sein! Der Mensch kann auch kompensieren.
Doch auch der einsamste Einsiedler benötigt Kommunikation. Er wird sich eine Ersatzherde suchen. Tiere, Pflanzen, mit denen er kommunzieren wird. Oder Gott.
Sehr gut beschreibt dies Marlen Haushofer in ihrem Buch „Die Wand“.
Was diese Frau hinter der Wand am Leben hält, ist die Verantwortung für ihre Tiere und die Kommunikation mit sich selbst (also mit einem Bestandteil der Menschheit) und ihrer Vergangenheit.

Aus diesen Extremsituationen kann man wunderbar ableiten, dass der Mensch die Herde braucht.
Aber er braucht sie für Anderes als er sie in unseren Breitengraden meistens annimmt.

© evelyne w.

 

4 Gedanken zu „Gedanken über die Angst – II. Macht braucht Angst“

  1. Du weißt vielleicht, dass ich in den letzten Jahren immer mehr Probleme mit längeren Texten habe: entweder langweilen sie mich (was bei Deinem Text – ich habe allerdings nur den 2. Teil gelesen – n i c h t passiert ist) oder zu vieles in dem Text ärgert mich, weil ich es nicht alles in eine Linie bringen kann (was ich für meine stabile Seelenlage meistens brauche) oder weil ich ständig Einwürfe machen zu müssen das Bedürfnis hätte, wäre mir das nicht zu aufreibend. Du hast hier ein ganzes Panoptikum des Lebens arrangiert, wo ich vieles anerkenne. Dass aber Angst nach meinem oberflächlichen Verständnis des Textes eher als etwas Problematisches rüberkommt, reizt mich zum Widerspruch, Angst kann etwas sehr Widersprüchliches bedeuten: Vorsicht, die das Überleben sichert, und Bremse für lebensnotwendiges Handeln. Genauso ist es mit der Unausweichlichkeit des Daseins als Herdenwesen und auch dem Verhältnis des Einsiedlers zu Tieren oder gar Pflanzen als Ausdruck dieser Qualität als Herdenwesen Kommunikation mit anderen Lebewesen kann Ausdruck eines unwillkürlichen Mitgerissenwerdens sein, aber auch bewusstes Suchen nach Gleichgesinnten, mit denen zusammen etwas Notwendiges auf den Weg gebracht werden kann usw. usw.

    Ich bitte um Verzeihung, wenn ich den Text nicht richtig gelesen haben sollte, und grüße Dich herzlich
    Helmut

    1. lieber helmut,

      du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen!
      ich freue mich, wenn jemand meine texte so liest, dass er einen kommentar dazu abgeben kann!

      ich glaube, dass hier missverständnisse auftreten.

      ich versuche, die angst zu „erklären“. wo sie herkommt, was sie bewirkt usw.
      und bin damit erst am anfang.

      diese fälle, die du anführst, von wegen überleben, bremse für lebensnotwendiges handeln, die fällt für mich halt unter instinkt.
      ich unterscheide auch insofoern, dass angst für mich etwas rein menschliches ist.
      eben weil sie bewusst gemacht werden kann.und willkürlich eingegriffen, und leider auch erzeugt werden kann.

      das mag als persönliche auffassung klingen, und vielleicht ist es das auch, wenn auch nicht nur meine, ich komme ja aus der individualpsychologie,
      dennoch kann man sie so am besten erklären und – und das ist wichtig – in vielen teilen auch auflösen.
      das geht nicht, wenn man alles durcheinander mischt …
      und auch dort setzen die machthaber an. DASS die menschen nicht differenzieren und sich ihrer angst deshalb einfach ausgeliefert sehen oder fühlen. und sich deshalb dem kollektiven unbewussten wie bewussten anschließen (weil sie herdenwesen sind)

      wenn das nicht so wäre, würde es mich gar nicht interessieren, die angst erklären zu wollen.

      die kommunikation mit anderen lebewesen – in intakter menschlicher gesellschaft – kann selbstverständlich verschiedene – und oft sehr positive ursachen haben! wie sie letztendlich sogar in der abgeschiedenheit ja auch positiv ist. sogar überlebenswichtig.

      aber – der mensch kann andererseits auf dieser schiene auch wunderbar kompensieren. und eben auch ängste kompensieren.

      ich meine das alles nicht abwertend, negativ oder irgendwas sonst in dieser richtung. sondern ich will mit meinen eher kategorischen erklärungen möglichkeiten schaffen, besser zu differenzieren. aber bitte nicht die menschen abwerten!

      danke noch einmal und ganz lieben feiertäglichen gruß zu dir
      lintschi

      ps: oje und jetzt gleich wieder so lang … 😉

  2. Vielen Dank für die ausführliche Antwort – und dies von einem, der sich bei der allmontäglichen Montagsdemo gegen Stuttgart 21 gar nicht als Herdenwesen fühlt.

    Herzlich
    Helmut

  3. PS: …und die Mächtigen haben vor unserer Angst um die Mineralquellen in Stuttgart-Bad Cannstatt so viel Angst, dass sie die Medien gar nicht darüber berichten lassen wollen …

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